Szene 1: Saal des Stadthauses Winterthur. Hier veranstaltet das Musikkollegium Winterthur seine Konzerte, hier soll auch seine nächste Aufnahme mit Werken von Ralph Vaughan Williams stattfinden. Eingespielt werden sollen Vaughan Williams‘ populäre 5. Sinfonie und sein wenig gespieltes Konzert für zwei Klaviere.
Tonmeister Andreas Werner, der für Radio SRF 2 Kultur seit Jahren Aufnahmen und Studioproduktionen macht, baut die Mikrophone auf. Er ist mit dem Saal nicht unbedingt glücklich: «Der akustisch eher etwas ungünstige Winterthurer Saal mit den engen Wänden der Bühne erzeugt ein recht knalliges Klangbild». Das muss durch die Aufnahmetechnik abgefedert werden. Mit dem Dirigenten Douglas Boyd ist sich Andreas Werner einig: «Das Orchester soll trotz vieler lauter Passagen sehr durchsichtig und klar spielen, und trotzdem darf die Kraft nicht verloren gehen.»
Mit dem Klavierduo Tal & Groethuysen
Das renommierte Klavierduo Tal & Groethuysen findet sich im Saal ein. Es spielt die beiden Solopartien im bisher erst einmal und vor langer Zeit eingespielten Konzert für zwei Klaviere. Für Yaara Tal und Andreas Groethuysen geht mit dieser Aufnahme ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.
Es stellt sich heraus, dass die beiden Klaviere in der Aufnahme recht verschieden klingen, «was ich aber ganz bewusst so gelassen habe, damit wir eine klare Trennung der beiden Instrumente hatten», sagt Werner. Für ihn wären durchaus auch andere Entscheidungen möglich, und in zumindest einem Aspekt hat er denn auch anders entschieden: «Die Sinfonie ist eigentlich für ein grösseres Orchester geschrieben, als wir zur Verfügung hatten, und wieder ist der Saal eigentlich zu klein und die Bühne zu eng. Ich musste daher klanglich den Raum etwas ‹vergrössern›, mit einer langen Vorverzögerung, gut zu hören im langsamen dritten Satz.» Der Dirigent ermunterte das Orchester deshalb auch, Kraft und Energie von unten her, also von den Bässen und Celli zu bringen.
Repertoire und Engagement
Trotz ihres internationalen Renommées stiessen Yaara Tal und Andreas Groethuysen mit ihrem Wunsch, Vaughan Williams‘ Konzert einzuspielen, lange auf taube Ohren: zu wenig populär, kommerziell zu wenig interessant ... So hätte diese Aufnahme möglicherweise noch lange auf sich warten lassen ohne das Engagement von SRF 2 Kultur. Hinter diesem Aufnahmeprojekt des Musikkollegiums Winterthur steht dessen Unternehmungslust, mit seinem Dirigenten Douglas Boyd das Orchesterrepertoire phantasievoll zu erweitern. Weg vom immer gleichen Kernrepertoire, hin zu Ausflügen ins Unbekannte: etwa mit Orchestermusik aus dem angelsächsischen Bereich, aber auch aus der Schweiz des 20. Jahrhunderts.
Solche Initiativen eines Schweizer Orchesters aufzugreifen und so zur Erschliessung von neuem Repertoire beizutragen, ist eines der zentralen Kriterien der Musikproduktion von Radio SRF 2 Kultur. Bei andern Projekten geht es vor allem darum, junge Musiker und Ensembles der Schweiz zu unterstützen oder zeitgenössische Werke von Schweizer Komponisten zu dokumentieren.
Gringolts-Quartett mit Strauss und Braunfels
Ähnlich liegt der Fall bei der Aufnahme des Gringolts-Quartetts. Der Star-Violinist Ilya Gringolts unterrichtet seit einiger Zeit an der Musikakademie Basel und hat dort ein eigenes Quartett gegründet. Auf der CD stellt er nun zwei Werke des berühmten Richard Strauss und des wenig bekannten Walter Braunfels einander gegenüber. Beide Komponisten hatten das Unglück, in Nazi-Deutschland zu leben und zu arbeiten. Richard Strauss arrangierte sich mit den Machthabern opportunistisch und feierte Erfolge. Walter Braunfels jedoch ging in die innere Emigration und bezahlte dafür mit dem Vergessenwerden. Erst in den letzten Jahren erwachte neues Interesse für seine Musik, die nun zunehmend wieder aufgeführt und aufgenommen wird.
Eine CD mit seinem Streichquintett op. 63 von 1944 erweitert also nicht nur das spärliche Repertoire für diese Besetzung (zweites Cello: David Geringas). Das Schweizer Ensemble trägt damit auch zur aktuellen Beschäftigung mit einem zu Unrecht verkannten Komponisten bei. Und es thematisiert darüber hinaus mit den «Metamorphosen» von Richard Strauss (in einer Fassung für sieben Streichinstrumente) erst noch den Aspekt des Komponierens in düsteren Zeiten. Zu den melancholischen Tönen dieser Musik fand der Komponist erst nach Kriegsende im Schweizer «Exil», wo ihn Paul Sacher um Werk für sein Collegium musicum Zürich Kammerorchester bat.
Musikalische Fragen mit Aufnahme-technischen Folgen
Szene 2: Musikstudio 1 im Radiostudio Zürich: Für Tonmeisterin Michaela Wiesbeck bieten sich in diesem für seine hervorragende Akustik bekannten Saal erst mal weniger Probleme: «Grundsätzlich eignet sich das Radiostudio sehr für Streichensemble in dieser Grösse, so dass ich wenig künstliche Mittel eingesetzt habe und stattdessen versuchte, die Akustik des Saals durch Raummikrofone mit einzufangen.»
Beim Quintett von Walter Braunfels stellte sich für die Tonmeisterin dennoch eine heikle Aufgabe. Das Werk ist – wie bei Schuberts Quintett – mit zwei Celli besetzt. Wie sollen diese klingen – ähnlich oder unterschiedlich? Eine musikalische Frage also, die Folgen hat für die Aufnahmetechnik. Michaela Wiesbeck: «Für dieses Werk ist es meiner Meinung nach ideal, die beiden Celli klanglich nicht grundsätzlich unterscheiden zu können. Mit verschiedenen Abständen zum Mikrofon und vertauschten Positionen der beiden Instrumente haben wir diese Annäherung erreicht.»
Rudolf Leopolds Fassung von Strauss‘ «Metamorphosen»
Bei Richard Strauss‘ «Metamorphosen» stellte sich eine andere Aufgabe: Eingespielt werden sollte die Fassung von Rudolf Leopold, der die 23 Instrumente der Originalversion auf ein Septett reduzierte. Dennoch sollte die Klangfülle nicht verloren gehen, also keinesfalls «reduziert» klingen. Dafür stellte sich das Ensemble im Halbkreis auf, der Kontrabass etwas nach hinten versetzt. Das hatte zwei Vorteile: «So bot sich ein klares und dennoch volles Klangbild, und die Musiker konnten optimal aufeinander reagieren.»
Und optimales Reagieren der Musiker ist bei dieser solistisch gearbeiteten Musik durchaus nötig. «Sehr in Erinnerung bleiben wird mir diese Produktion aufgrund einer Stelle im Mittelteil, wo sich eine längere Diskussion ergab», sagt Michaela Wiesbeck. «Die erste Viola spielt in einer langen kraftraubenden Strecke sozusagen »gegen« die fast homophonen thematischen Linien der anderen Stimmen, und über allen Partien steht ein Fortissimo.
Die Frage war also: Ob und wie viel sollte die phantastisch gespielte Viola nun noch aufnahmetechnisch unterstützt werden? Muss man jeden einzelnen Ton davon hören können?» Und das Resultat der Diskussionen: «Wir haben uns für sehr wenig technisches Nachhelfen entschieden, was meiner Meinung nach der Partitur entspricht.» Was der Partitur entspricht: Dafür sind in erster Linie natürlich die MusikerInnen zuständig. Aber ohne die Kunst der Tonmeister wäre die ganze Mühe und Sorgfalt umsonst.