«Well, don't buy sugar/You just have to touch my cup» heisst es irgendwo im Text von «Honeysuckle Rose», den Andy Razaf 1929 telefonisch seinem Freund Fats Waller durchgegeben haben soll. Und der sass ans Klavier, probierte ein wenig aus, und diktierte seinerseits die Noten der Melodie, die er spontan erfunden hatte, seinem Texter.
Im «Jazz Age» war noch vieles möglich
«Don't buy sugar/You just have to touch my cup», das ist nun nicht wirklich jugendfrei, eigentlich nicht zweideutig, sondern schon fast wieder eindeutig. Aber die 1920er Jahre, «The Jazz Age», wie dieses Jahrzehnt genannt wurde, waren eine frivole Zeit, die selbsternannten Tugendwächter waren noch nicht auf den Plan getreten, noch war vieles möglich.
Die beiden Schöpfer des Songs passten haargenau in ihre Zeit: Andy Razaf hiess eigentlich Andriamanantena Paul Razafinkarefo, er war der Grossneffe der letzten Königin von Madagaskar, ein veritabler Bohemien.
Von Fats Waller kann man heute noch lernen
Thomas «Fats» Waller war ein hervorragender Pianist und ein witziger Sänger, der erste Organist des Jazz und – dies vor allem – ein Entertainer und Showman, von dem viele heutige Künstler noch eine oder zwei Scheiben abschneiden könnten. Sein «Soundy» mit dem «Honeysuckle Rose», der Videoclip zum Lied quasi, ist auch heute noch sehenswert.
«Load of Coal» hiess die Cabaret Show, für die «Honeysuckle Rose» gedacht war, aber das Lied fand seinen Weg ins Repertoire von unzähligen Show- und Jazzbands, die damals in den Nightclubs von New York spielten.
Trumbauer, Henderson, Goodman
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Und auch die Jazzmusiker adaptierten «Honeysuckle Rose» sofort. Das Copyright datiert von 1929, aus dem gleichen Jahr schon kommt die erste Aufnahme. Und von da an ging es Schlag auf Schlag: Waller selber realisierte seine «Uraufnahme» 1934, kurz darauf folgten Frankie Trumbauer, Fletcher Henderson und Benny Goodman.
Coleman Hawkins brachte das Stück mit nach Europa, nahm es mit Django Reinhardt auf, und im berühmten Carnegie Hall Konzert von 1938 improvisierten die Stars des damaligen Jazz darüber.
Das tägliche Übungsfutter für Charlie Parker
Für Charlie Parker schliesslich war «Honeysuckle Rose» tägliches Übungsfutter; um Tantiemen für seine Improvisationen darüber zu bekommen, schrieb er mehrere eigene Melodien über die Akkorde, «Scrapple from the Apple» ist die bekannteste.
1956 nahm Thelonious Monk «Honeysuckle Rose» zum ersten Mal auf, und im Rückblick scheint es, dass diese Version das Stück zumindest für Pianisten des modernen Jazz attraktiv gemacht hat. Denn viele der aktuellen Spieler haben sich mit dem Stück herumgeschlagen, angefangen mit Sun Ra, über Uri Caine, Jean-Michel Pilc bis zu Keith Jarrett.
Einfach - und doch grosse Kunst
Fast alle Pianisten nehmen dabei klaren Bezug auf das, was Fats Waller selber vor bald 80 Jahren aus dem Song gemacht hat, ein fröhliches Harlem Stride Stücklein, das aber in seiner Struktur weit über seine Zeit hinausweist, und so bei aller Einfachheit zu einem Stück grosser Kunst wird.