SRF: Wael Sami Elkholy, worum geht es in Ihrem Oratorium «Hypatia» für acht Frauenstimmen und Harmonium?
Wael Sami Elkholy: Es geht um die spätantike Philosophin und Mathematikerin Hypatia, die im christlichen Alexandria verfolgt wurde. Sie ist eine Frauenfigur, die bis heute Vorbildcharakter hat: Mutig hat sie für Toleranz und Gleichberechtigung gekämpft und ist ihren Idealen bis in den Tod treu geblieben. Das Stück ist eine Hommage an jene Frauen, welche die Geschichte verändert haben, aber von der Geschichtsschreibung vergessen wurden.
Ihr Stück wird am Flüchtlingstag, am 18. Juni in Bern uraufgeführt, explizit unter dem Programmpunkt «Flucht». Ändert sich durch diesen politischen Aufführungskontext die Aussage ihres Werkes?
Irgendwie schon. Durch diesen Kontext reduziert sich die Aussage meines Oratoriums auf Hypatias Verfolgung durch Fanatiker. Dabei hat diese historische Figur so viel mehr Dimensionen! Mein Werk hat nicht konkret mit Flüchtlingen zu tun, es geht ganz grundsätzlich um Meinungsfreiheit, um Ideale, um menschliche Werte und Toleranz. Ein neutraler Tag für die Uraufführung wäre mir lieber gewesen, dann wären mehr Deutungen möglich gewesen.
Im Ankündigungstext werden Sie als ein «im Exil lebender ägyptischer Komponist» angekündigt. Können Sie sich mit dieser Bezeichnung identifizieren?
Überhaupt nicht! Ich bin nicht aus Ägypten geflohen. Ich bin ein ganz normaler Komponist, der vor sieben Jahren zum Studium in die Schweiz gekommen ist. Vielleicht wäre es für mich als Künstler unter den heutigen politischen Bedingungen und dem zunehmenden religiösen und traditionellen Fanatismus in Ägypten schwerer, meine Kunst frei auszuüben. Ja, ich habe mich entfremdet von diesem Land. Aber da ich jederzeit in meine Heimat zurück kann, ist es nicht korrekt, zu behaupten, ich sei im Exil.
Haben Sie das Gefühl vereinnahmt zu werden?
Es passiert schnell, dass arabische Komponisten oder Musikerinnen in der Flüchtlings-Ecke landen. So möchte ich nicht dargestellt werden. Ich möchte als freier Mensch wahrgenommen werden. Ich habe mich frei entschieden herzukommen, um mir hier als Künstler einen neuen Raum zu schaffen. Ich empfinde tiefe Solidarität mit den Flüchtlingen, aber ich teile ihre Erfahrungen nicht, nur weil ich zufällig auch Araber bin.
Was glauben Sie, warum Veranstalter da so wenig differenzieren?
Wahrscheinlich erwartet man einfach von einem arabischen Künstler, dass er sich zur aktuellen Situation äussert. Viele erwarten ja auch, dass meine Werke orientalisch klingen. Mein Oratorium «Hypatia» aber ist im zeitgenössisch-klassischen Stil geschrieben, mit nur wenigen orientalischen Einflüssen. Indem ich Texte in verschiedenen Sprachen und aus verschiedenen Epochen verwende, zeige ich, dass das Thema universell und zeitlos ist.
Wie gehen Sie mit der verengten Sicht um? Labels wie «Flüchtling» und «Exil» treffen auf Sie zwar nicht zu, aber bringen sie Ihnen nicht am Ende doch Publicity?
Ich finde es schade, dass es nicht ohne diese Klischees geht. Aber ich kann mich damit arrangieren, mein Stück findet so vielleicht bei mehr Menschen Gehör. Ich versuche pragmatisch zu sein: Als Komponist habe ich nach der Uraufführung meine Arbeit erledigt, habe mein bestes gegeben. Diejenigen, die meine Musik verkaufen und bewerben, entscheiden sich für ihren eigenen Weg.
Wir Kulturjournalisten steigen oft auf die Trigger «Flüchtling» und «Exil» ein – ein Werk eines arabischen Komponisten am Flüchtlingstag suggeriert eine höhere Relevanz. Welchen Umgang der Medien würden Sie sich wünschen?
Undifferenziert erlebe ich die Medien eigentlich nicht. In Interviews gebe ich als Komponist gerne Auskunft über meine Musik und die Gedanken, die dahinter stecken. Interkulturelle künstlerische Arbeit beinhaltet für mich aber viel mehr als nur politische Aspekte.