So viel wollte noch keiner auf einer Schweizer Crowdfunding-Plattform: 90'000 Euro, umgerechnet 110'000 Franken peilt die Basler Popband The bianca Story an. Fans und Förderer sollen ihre neue CD vorfinanzieren. Als Gegenleistung bietet die Band unter anderem Konzerttickets, privaten Schlagzeugunterricht oder Wohnzimmerkonzerte.
Piraterie wäre unmöglich
Nicht nur die Grösse des Projektes lässt aufhorchen: Wenn die Finanzierung zustande kommt, soll die Musik kostenlos sein. Für alle, auch für die, die nicht gespendet haben. «Es wäre gar nicht möglich, unsere Musik illegal zu besitzen», Elia Rediger, Frontmann von The bianca Story, freut allein der Gedanke. Die Band würde so das Piraterie-Problem lösen.
Das haben andere schon vorgemacht. Das wohl bekannteste Beispiel: Radiohead gaben 2007 ihr Album «In Rainbows» kostenlos zum Download frei. Jeder zahlte, soviel er wollte. Das können sich The bianca Story nicht leisten. Für die Band wäre es schon aussergewöhnlich, wenn jedes der fünf Mitglieder einen Lohn erhalten würde.
The bianca Story
Knapp 4000 Franken würde jedes Bandmitglied für die Studioaufnahme bekommen. Das sieht man im Budget auf der Crowdfunding-Plattform wemakeit.ch. Ein knappes Drittel (30‘000 Franken) verschlingt die Produktion des Albums. Etwas mehr geht für das Label und Promotionszwecke drauf (40'000 Franken).
Industrie hilft beim Kampf um Aufmerksamkeit
Wieso so viel Geld für die Industrie? Nicht, dass Branchenkenner die Beträge überrissen fänden. Aber bei ihrer Sammelaktion präsentieren sich die fünf Basler als Mineure . Sie pickeln und schwitzen im Berg um «ein Loch in das verhärtete Gestein der Musikwirtschaft zu hauen».
«Ganz ohne Industrie geht es nicht», sagt Frontmann Rediger. «Man kann allein mit Facebook, Youtube und Twitter nicht mit Bands konkurrieren, die ein Promotionsbudget von zwei Millionen Franken haben.» Rediger und seine Band sind nicht gewillt, schlecht gerüstet in den Kampf um Aufmerksamkeit zu ziehen.
Neue Fragen an ein altes System
Den verhärteten Musikindustrie-Berg zu sprengen, sei zwar nicht möglich. Aber ihr Pickeln habe schon einiges ausgelöst. Rediger erhält immer öfter E-Mails und Anrufe wegen des Projekts, auch von grossen Major-Labels.
Auch die Urheberrechtsgesellschaften – die deutsche Gema und ihr Schweizer Pendant Suisa – seien nicht auf solche Geschäftsideen vorbereitet. Sie erheben normalerweise Gebühren pro verkauften Tonträger. The bianca Story strebt eine Pauschalvergütung in Vorausbezahlung an (ein Budgetposten von 5500 Franken).
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Auch Förderinstitutionen sind nicht auf das The-bianca-Story-Geschäftsmodell eingestellt. Die Band habe sie aufgefordert, ihre Unterstützung ins Crowdfunding-Projekt einzuzahlen. Ganz transparent. Die Idee stösst bis jetzt auf wenig Gegenliebe.
Alles oder nichts
Wenn The bianca Story die 110'000 Franken nicht bis zum letzten Rappen zusammenbekommen, verlieren sie alles. Selbst nachhelfen wollen sie nicht (zum Beispiel 10'000 Franken bezahlen, um an 100'000 Franken zu gelangen). «Das ist nicht erlaubt», Rediger spielt nach Regeln.
Sollte das Projekt also scheitern, müssten sich Elia Rediger und seine Kollegen noch einmal über das Budget beugen. Urheberrechts-Pauschale und Gebühren für das Crowdfunding fielen weg. Die eigenen Löhne würden gestrichen. An den Produktionskosten ist nicht zu rütteln, 13'000 CDs liegen bereit. Bei Label und Promotion will Rediger keine Abstriche machen. Das heisst, es bleiben etwa 70'000 Franken zu bezahlen. Woher nehmen und nicht stehlen?
Die CD erscheint so oder so
«Bei einer CD-Produktion ist es quasi normal, in die roten Zahlen zu rutschen», sagt Rediger. Die Zeiten, in denen Labels mitfinanzierten sind vorbei. Im besten Fall kriegt man Vorschüsse, die man zurückzahlen muss. Das Risiko liegt bei der Band.
Detaillierte Zahlen kann Rediger nicht aufschlüsseln. So viel steht fest: The bianca Story spielten letztes Jahr 70 Konzerte, alle fünf Musiker wirkten in diversen anderen Projekten mit – und alle fünf haben nebenher noch einen Brotjob.
«Ich will nicht mehr kellnern gehen», sagt Rediger. Lieber gibt er Gas für sein Crowdfunding-Projekt. Und noch lieber stellt er sich vor, was die Aktion sonst noch für Auswirkungen haben könnte: Geben 10'000 verschenkte CDs eigentlich eine goldene Schallplatte? Komme, was wolle, die neue CD «Digger» bahnt sich ihren Weg ans Licht: Ende November ist Plattentaufe.