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Musik «Ich wusste nicht, dass mein Berufswunsch nicht normal war»

Die Schweizerin Sylvia Caduff dirigierte als eine von wenigen Frauen weltberühmte Orchester wie die Berliner Philharmoniker. Der Weg zum Erfolg war nicht einfach – sie begann, als Frauen in der Schweiz noch nicht einmal wählen durften. Auch heute haben es Dirigentinnen immer noch schwer.

Frau Caduff, wieso wollten Sie Dirigentin werden?

Sylvia Caduff: Ursprünglich wollte ich Pianistin werden. Ich hörte viel sinfonische Musik. Dieser Klang, der nahm mir die Luft, der drang so in mich ein, dass ich meinen Wunsch Klavier zu spielen, langsam hinübergleiten liess in den Wunsch: Ich möchte mit dem Orchesterklang leben, im Orchesterklang drin leben.

Wie schwierig war es damals, Anfang der 60er-Jahre, diesen Berufswunsch zu verfolgen?

Sylvia Caduff: Ich wusste nicht, dass dieser Wunsch für ein Mädchen nicht alltäglich war. Dass er sogar etwas total Abnormales war. Eines Tages habe ich gedacht, jetzt frag ich halt einen, der es wirklich weiss. Herbert von Karajan leitete damals einen Meisterchor hier in Luzern, im Rahmen der Festwochen.

Ich habe auf ihn gewartet, um ihm die Frage zu stellen und seine Antwort war: «Jaaah, eigentlich, ööh, warum denn nicht, eigentlich machen die Frauen das nicht, aber kommen Sie doch mal vorbei und wir schauen, was Sie so, ääh, wie Sie so geartet sind.»

Und wie waren Sie geartet?

Beim Aufnahmegespräch fragte er mich: «Sind Sie bereit, alles auf sich zu nehmen, was in diesem Beruf auf Sie zukommt?» Ich hab gesagt: «Ja, natürlich.»

Ich wäre durch die Hölle gegangen. In mir brannte ein inneres Feuer, das mich trieb. Ich wurde dann für ein Praktikum ausgewählt. Es war einfach wundervoll: diese Atmosphäre, dieser Geist.

Wie war die Situation damals in der Schweiz?

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In der Schweiz gab es noch keine Dirigentenklassen. Man musste also zwingend ins Ausland gehen. Ich hab schnell gemerkt, dass eine Frau, ohne etwas Besonderes vorweisen zu können, keine Chancen hat in diesem Beruf.

Die beste Möglichkeit war einen Wettbewerb zu gewinnen, weil dann die Öffentlichkeit aufmerksam wird. Und das hab ich dann getan.

In New York haben Sie den prestigeträchtigen Mitropoulos Wettbewerb gewonnen.

Ja, das war 1966. Als ich zurück in der Schweiz war, bekam ich vom Bundespräsidenten ein Glückwunschtelegramm. Und von der Tonhalle-Gesellschaft ein Angebot für ein Volkskonzert.

Volkskonzerte sind die unterste Stufe, unter den Abonnements- und den Symphoniekonzerten.

Der tschechische Dirigent, der im Wettbewerb den zweiten Preis gewonnen hatte, der bekam ein Angebot von den Prager Symphonikern als Chefdirigent. Zwei Jahre vorher hatte Abbado diesen Preis gewonnen, dem wurde die Mailänder Scala angeboten.

Sie waren Gastdirigentin an Opernhäusern in der ganzen Welt. Wie haben die Orchester Sie aufgenommen?

Je besser die Orchester waren, desto eher kamen sie mir entgegen. In Skandinavien war es kein Problem. Je weiter man in den Süden kam, da schauten sie drauf wie man aussieht.

So: Wenn sie schön ist, dann spielen wir gut, und sonst soll sie uns den Buckel runterrutschen. Ganz extrem war es in Kairo. Da darf eine Frau nicht oben stehen. Die Musiker haben keinen Widerstand geleistet, aber es war ihnen unangenehm. Und mir auch.

In der Schweiz hatten die Frauen ja noch nicht einmal das Wahlrecht. Noch heute werden Frauen im Beruf nicht gleichwertig behandelt.

Und in der Schweiz?

Da hatten die Frauen ja noch nicht einmal das Wahlrecht. Noch heute werden Frauen im Beruf nicht gleichwertig behandelt. Das Lucerne Festival hat in diesem Jahr unter dem seltsamen Titel «PrimaDonna» elf Dirigentinnen eingeladen.

Doch anstatt jeder ein Konzert zu geben, mussten fünf an einem Tag hintereinander in einer knappen Stunde zeigen, was sie können.

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Das sieht für mich eher nach Diplomabschlusskonzert einer Hochschule aus. Ich glaube nicht, dass männliche Dirigenten das gemacht hätten.

Wussten Sie irgendwann, was Karajan meinte? Haben Sie die Steine im Weg zu spüren bekommen?

Ich war, als ich anfing, sehr naiv. Ich konnte mir in diesem wunderschönen Beruf nur gute Menschen vorstellen. Keine Boshaftigkeiten oder Intrigen. Musik ist die Luft, die ich atme, da hat etwas anderes gar keinen Platz.

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