Sie besuchen als Musikredaktorin regelmässig Konzerte. Was macht für Sie das Live-Erlebnis aus?
Annelis Berger: Es ist etwas, das mir nie verleidet. In einem Konzert sitzt man mit ein paar hundert Leuten wie in einem Kokon – zusammen hört man sich etwas an, was unter Umständen eine Sternstunde sein kann, auf jeden Fall herrscht grosse Konzentration. Diese Ernsthaftigkeit im Konzert, die einen aus dem Alltag hebt, das ist grossartig. Das will ich immer wieder erleben.
Wann kamen Sie auf die Idee, beim Radio zu arbeiten?
Seit meiner Kindheit wollte ich Radiofrau werden. Ich habe zwar Bratsche studiert, aber als Kind hab ich mich manchmal in einen Schrank reingesetzt und mein Bruder musste diesen Schrank schliessen. Sobald er den Schlüssel gedreht hat, hab ich angefangen Nachrichten zu sprechen, Geschichten zu erzählen. Wenn er wieder am Schlüssel gedreht hat, hat er so den Sender gewechselt. Ich habe dann umgestellt und auf Französisch weitergesprochen. Das heisst, ich kam sehr früh auf die Idee.
Warum dann der Umweg über die Bratsche?
Ich hab immer sehr gern Musik gemacht. Als Kind habe ich erst Geige gespielt, wollte aber schon früh auf Bratsche wechseln. Es hat sich mehr oder weniger so ergeben, dass ich Musik in Bern studierte, damals am Konservatorium. Ich wollte das auch, und trotzdem habe ich sehr früh angefangen als Journalistin zu arbeiten. Erst als Print-Journalistin, und dann kamen Beiträge beim Radio dazu. Ja, die Musik, das Radio, für mich ist das gar nicht so getrennt.
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Wie verbindet sich denn die Musik mit dem Journalismus?
Es hilft mir unendlich, dass ich Bratsche studiert hab, und dass ich dadurch weiss, wie Musik funktioniert. Ich weiss nicht, ob ich diesen Beruf sonst ausüben könnte. Gerade das Gehör wurde im Studium sehr geschult. Die Intonation ist dabei ein Aspekt – bei den Streichern ist sie sehr heikel oder bei Sängern, im Orchester bei den Bläsern. Ich höre aber auch, ob sich der Klang gut mischt.
Wenn man viel hört und versteht, löst das nicht manchmal Distanz beim Hören aus?
Das Verstehen eines Stückes, das ich vielleicht vor dem Konzert analysiert habe, löst bei mir keine Distanz aus. Im Gegenteil – wenn ich die Musik verstehe und kenne, kann es sein, dass deswegen das Konzerterlebnis intensiver wird. Je mehr ich weiss, desto mehr kann ich mich der Musik hingeben. Es ist eigentlich ein noch grösseres Erlebnis. Als Musik-Redaktorin höre ich vielleicht analytischer, aber sicher nicht kühler.
Wie hört denn die Redaktorin Annelis Berger?
Nehmen wir an, ich sitze in einem Konzert mit einem Symphonieorchester. Sagen wir, sie spielen eine Bruckner-Symphonie. Dann wünsche ich mir, dass dieses Orchester diese Symphonie so spielt, dass die Architektur der Partitur, also die Struktur der Partitur, möglichst deutlich hörbar wird. Die ist hörbar, wenn der Dirigent genau weiss, was in der Partitur passiert, jede Stimme kennt und das, was jeweils wichtig ist, plausibel hervorheben kann. Ich höre dann, ob diese Stelle plastisch hervorkommt. Ob zum Beispiel das Horn oder die Bratschen wirklich zur Geltung kommen an der Stelle. Es kann nämlich auch verwässert klingen, weil der Dirigent es nicht schafft, die einzelnen Register herauszuarbeiten. Genau das macht einen guten Dirigenten aus, dass er die Architektur eines Werkes hörbar macht. Das ist mir sehr wichtig. Gerade bei einem romantischen Orchesterstück.