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Keith Jarret sitztt mit geschlossenen Augen am Klavier.
Legende: Wenn Keith Jarrett spielt, zählen nur das Hier und Jetzt zwischen Musiker, Instrument und Publikum. Keystone

Musik Keith-Jarrett-Biografie punktet mit leisen Tönen statt Eskapaden

Nach einem Disput brach der Kontakt zwischen Pianist Keith Jarrett und Autor Wolfgang Sandner ab. Trotzdem schrieb Sandner zum 70. Geburtstag Jarretts eine Biografie über ihn – und die ist lesenswert. Gerade weil zwischen Biograf und Künstler eine Distanz besteht.

Zwei Attribute haften an Keith Jarrett wie Kletten: Zum einen ist Jarrett der Mann mit dem «Köln Concert», der meistverkauften Jazz-Solo-Platte aller Zeiten. Zum anderen ist er der schwierige Pianist, der wegen einem Huster im Saal ein Konzert abbricht und bei einem Blitzlicht im falschen Moment das Publikum mit Schimpftiraden eindeckt.

Der falsche Satz

Buchhinweis

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Wolfgang Sandner: «Keith Jarrett: Eine Biographie». Rowolth, 2015.

Die Wahrheit ist, wie immer, etwas komplizierter. Keith Jarrett selbst findet sein «Köln Concert» im besten Fall mittelmässig, der Verkaufserfolg irritiert ihn eher. Ausserdem gibt es Konzerte, bei denen er ausgesprochen geduldig war mit einem unmöglichen Publikum. Aber das gibt eben zu wenig her für Schlagzeilen. Darum bleibt es dabei: Keith Jarrett, der «Köln Concert»-Spieler, und Jarrett der Publikumsbeschimpfer.

Da kommt eine neue Biografie zum 70. Geburtstag gerade recht – und Wolfgang Sandner ist der richtige Autor dafür. Erstens, weil er Jarrett über Jahre hinweg in vielen Begegnungen und persönlichen Gesprächen gut kennenlernte. Zweitens, weil er selbst übers «Köln Concert» stolperte. An einem Apéro hat er die Platte Jarrett gegenüber als «einen seiner grössten Erfolge» bewundert. Prompt kam es zu einer Auseinandersetzung darüber und der Dialog zwischen Jarrett und Sandner brach ab.

Herausragende Musikbeschreibungen

Ein Glücksfall. Denn bis dahin war Wolfgang Sandner einer der grössten Jarrett-Fans überhaupt gewesen, mit einem immensen (Hör-)Wissen und einem direkten Zugang zum Künstler selbst. Der Abbruch des direkten Dialogs mit Jarrett ermöglichte Sandner, die nötige Distanz zu wahren. Schmerzhaft für den Fan, aber unabdingbar für den ernsthaften Biografen.

So ist die-Biografie dort am stärksten, wo der Autor auf sein eigenes Urteil vertraut und in immer wieder neuen Bildern kunstvoll das beschreibt, was Keith Jarrett selbst für unbeschreiblich hält: die Musik. Wer seine Aufnahmen noch nicht kennt, möchte auf der Stelle reinhören; wer sie hingegen kennt, fühlt sich verstanden und abgeholt. Das «Köln-Concert» und die Aufnahmen mit seinem Standards-Trio bekommen sogar eigene Kapitel.

Kein grossen Enthüllungen

Dass die Musik im Buch ein so grosses Gewicht bekommt, ist richtig. Dort passiert das Aufregende in Jarretts Leben, dort geht er immer wieder neue Wege, dort riskiert er Kopf und Kragen. Im Gegensatz zur kürzlich erschienen Herbie-Hancock-Autobiografie, in der die Öffentlichkeit zum ersten Mal von der Crack-Sucht Hancocks erfuhr, bekommen wir bei Jarrett nichts Dergleichen geboten. Auch sonst erfährt man nicht viel Neues über dessen Leben.

Vor rund 25 Jahren ist bereits eine lesenswerte Keith-Jarrett-Biografie erschienen. Geschrieben hat sie Ian Carr, der sich auch am Keith-Jarrett-Film «The Art of Improvisation» von 2005 beteiligte. Wolfgang Sandner ergänzt mit seinem Werk die fehlenden 25 Jahre von Ian Carrs Biografie bis heute. Ausserdem verführt er uns mit seinen Musikbeschreibungen dazu, Keith Jarretts Musik zu hören – nach wie vor das Beste, was man bei einem Musiker tun kann.

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