Im Jazz gibt es den Ausdruck «Musician’s Musician», was meint: ein Musiker, dem von seinen Kollegen höchsten Respekt entgegen gebracht wird. Der kanadisch-britische Trompeter Kenny Wheeler war so einer; viele Trompeterkollegen nannten ihn als ersten, wenn sie nach ihren Vorbildern gefragt wurden. Einem breiteren Publikum hingegen war er beinahe unbekannt – ein Missverständnis, er hätte so berühmt sein müssen wie Miles Davis.
Kaum kopierbare Stilmerkmale
Denn Kenny Wheeler hatte das, was einen Jazzmusiker als erstes auszeichnet: Einen völlig eigenen Klang, eine sofort erkennbare Phrasierung, eine Art der Melodiebildung, die sich von all seinen Kollegen unterschied – mit einem Wort: Ein eigenes Gesicht. Und dies nicht nur als Bläser mit seinen beiden Instrumenten Trompete und Flügelhorn, sondern auch als Komponist.
Wheeler wurde 1930 in Toronto in Kanada geboren. Mit diesem Jahrgang, vier Jahre jünger als Miles Davis, hätte er eigentlich ein Hardbop-Musiker werden müssen. Und vielleicht wäre er das auch geworden, wäre er in Kanada geblieben. 1952 aber zog er nach England, und wurde so zu einem europäischen Musiker. Und zu einer wichtigen Figur für die Emanzipation eben dieser europäischen Variante des Jazz.
Quartett mit Keith Jarrett, Dave Holland und Jack DeJohnette
Wahrgenommen wurde Kenny Wheeler aber erst zu Beginn der 1960er-Jahre, als er in der Big Band von Johnny Dankworth unterwegs war. In dieser Zeit studierte er auch Komposition bei Richard Rodney Bennett.
Spätestens mit seiner Suite «Windmill Tilter», die er nach Motiven von Cervantes‘ Don Quichote für die Dankworth Band geschrieben hatte, war er ein gefragter Musiker. Um 1970 herum finden wir ihn in den Big Bands von Mike Westbrook, Mike Gibbs, Alexander von Schlippenbach und Chris McGregor, aber auch in John Stevens‘ «Spontaneous Music Ensemble», wo völlig frei improvisiert wurde.
Seine erste Platte unter eigenem Namen erschien 1975, als Kenny Wheeler bereits 45 Jahre alt war. «Gnu High» hiess sie, und sie wurde gleich zu einer seiner besten, ein Meisterstück. Dies, obwohl das Quartett mit Keith Jarrett, Dave Holland und Jack DeJohnette die Idee von ECM-Chef Manfred Eicher war. Und die Chemie zwischen Jarrett und Wheeler soll nicht die beste gewesen sein.
Einer der produktivsten Jazz-Komponisten
Von da an war Kenny Wheeler auch als Leader präsent. Gut 30 Alben hat er seither vorgelegt. Und das Auffallende dabei war, dass er für jede CD ein völlig neues Repertoire schrieb. Kenny Wheeler war einer der produktivsten Komponisten des Jazz: Gegen 200 Stücke hat er geschrieben, viele darunter absolute Perlen. Merkwürdigerweise aber werden sie von anderen Musikern nicht oft gespielt – vielleicht, weil sie so sehr mit Wheelers wunderbarem Trompetenton verbunden werden.
In den letzten Jahren wurde es still um Kenny Wheeler. Er war schon seit längerer Zeit krank und im Spital. Musikerkollegen hatten mit Benefizkonzerten Geld gesammelt, um die Krankheitskosten tragen zu helfen. Nun ist er 84-jährig in London gestorben.