Ist Ihre Videogame-Musik klassische Musik?
Grant Kirkhope: Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Ich denke, klassische Musik ist Musik, gespielt von traditionellen Instrumenten des Orchesters: also Streicher, Perkussion, Holzbläser, Blechbläser. Meine Musik zum Videospiel «Banjo-Kazooie» etwa spielt ein Liveorchester, sie ist in diesem klassischen Stil geschrieben – also ja, ich denke, das ist klassische Musik.
Heisst das, Sie sind ein klassischer Komponist?
Nein, ich bin kein klassischer Komponist, ich habe noch nie reine Konzertmusik komponiert. Ich bin einfach ein Komponist. Alles, was ich schreibe, hat eine Funktion, die Musik ist etwa für ein Videospiel oder einen Trickfilm. Hinzu kommt: Videospiel-Komponisten müssen sehr vielseitig sein. Man muss viele verschiedene Stile beherrschen: Heavy Metal, Punk, orchestrale Musik oder Reggae. Man muss einfach das komponieren können, was sich der Produzent des Spiels vorstellt.
Haben Sie klassische Komponisten als Vorbilder?
Ja, auf jeden Fall: die englischen Komponisten Vaughn Williams etwa oder Edward Elgar. Aber auch Filmmusikkomponisten wie John Williams.
Wo genau liegen die Unterschiede zwischen Videospiel- und Filmmusik?
Heute ist der Unterschied tatsächlich nicht mehr so gross. In beiden Genres ist das Orchester sehr beliebt. Filmmusik arbeitet in den letzten Jahren etwas weniger mit musikalischen Themen für einzelne Charaktere oder Situationen. Videospiel-Musik hingegen schon. Richard Wagners Leitmotiv hat für uns noch immer eine grosse Bedeutung. Ein weiterer Unterschied ist die Interaktion. Im Videospiel weisst du nie, was als nächstes passiert.
Interaktion – wie gehen sie damit um? Jeder Spieler hat seine eigene Geschwindigkeit: Der eine schafft das Level schneller als ein anderer.
Wenn du nicht weisst, wie lange der Spieler in dieser Situation bleibt, muss man die Musik so komponieren, dass sie sich immer wieder loopen, also wiederholen lässt.
Warum ist Videospiel-Musik heute oft – und vor allem viel öfter – sinfonische Musik als früher?
Es gibt noch immer verschiedene Stile: Rock, elektronische Musik oder andere Stile. Aber tatsächlich wollten viele Komponisten schon früher viel lieber Musik für ein Sinfonieorchester komponieren. Meine Musik aus den 1990er-Jahren besteht aus künstlichen Klängen von Violinen, Posaunen oder Trompeten, mit dem Computer hergestellt. Die Qualität war sehr schlecht, weil die Speicherkapazität der Computer so gering war, und ein echtes Orchester war zu teuer. Das hat sich nun geändert – wenn wir nach Bratislava, Prag oder Mazedonien gehen. In L.A. sind sie noch immer sehr teuer.
In Japan, England, in den USA und auch in Deutschland veranstalten einige Sinfonieorchester Konzerte oder sogar Konzertreihen mit Videospiel-Musik. Können diese Konzerte ein junges Publikum auch für klassische Musik begeistern?
Davon bin ich überzeugt. Als ich jung war, hat niemand meiner Freunde gesagt: «Komm, wir besuchen ein Sinfoniekonzert». Heute sagen mir meine Kinder, sie wollen ein Sinfoniekonzert besuchen, weil dort Videospiel-Musik gespielt wird. Wenn ich im Auto mit ihnen klassische Musik höre, dann sagen sie nicht «Was ist das, ich mag das nicht». Sie haben sich an diese sinfonischen Klänge gewöhnt, weil sie sie in Videospielen hören. Es ist in ihren Köpfen keine elitäre Musik, sondern etwas ganz Alltägliches. Vor zehn Jahren war das noch nicht so.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 15.05.2015, 12:10 Uhr.