Für viele seiner ehemaligen Bewunderer war Penderecki tot und vergessen, als er sich um 1980 mehr und mehr einer konservativen Musiksprache und den traditionellen Musikgattungen zuwandte.
Seine zweite Sinfonie trägt ausserdem noch den Untertitel «Weihnachtssinfonie», da Penderecki die Komposition an Weihnachten 1979 begann und in ihr (diskrete) Motive aus Franz Grubers «Stille Nacht» verwendete; allerdings widerspiegelt das Werk die damalige unruhige, wenig weihnachtliche Zeit in Polen. Aber damit konnte man damals provozieren wie auch sich selbst diskreditieren. Doch Penderecki ging hartnäckig seinen Weg, veröffentlichte sogar einen ambitiösen Plan für die noch zu schreibenden sinfonischen Werke.
«Sämtliche Sinfonien» verspricht nun eine Box zum 80. Geburtstag des Meisters. Doch man reibt sich etwas verwundert die Augen und zählt dann nochmals nach: Die Nummern 1, 2, 3, 4 und 5 sind lückenlos da, danach folgen jedoch nur noch Nummer 7 und 8. Keine Nr. 6?! Hat man vielleicht eine falsch zusammengestellte CD-Box erwischt?!
Die Achte: Inspiration durch Naturgedichte
Es gibt aber keinen Grund zur Panik: Penderecki hat bisher keine Sechste geschrieben, deshalb die Lücke. Geplant soll sie zwar gewesen sein, sogar als «Pastorale» nach dem Vorbild Beethovens. Daraus wurde dann jedoch die Achte, eine Liedsinfonie nach Naturgedichten von Eichendorff, Rilke, Hesse und Goethe. Goethes Gedicht in der Mitte des Werks beginnt mit den Worten «Sag ich’s euch, geliebte Bäume». Und sie erinnert so an Pendereckis grosse Passion, das Sammeln von Bäumen aus aller Herren Länder. Mit ihnen hat er bei seinem Landsitz einen ganzen Park angelegt.
Spätromantische Musiksprache
Diese Achte entstand im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, trägt den Untertitel «Lieder der Vergänglichkeit» und hat wohl nicht zufällig die gleiche Nummer wie Gustav Mahlers Vokalsinfonie. Mit ihrer spätromantischen Musiksprache sind wir nicht nur zeitlich, sondern auch stilistisch meilenweit entfernt von jener Ersten aus dem Jahr 1973. Diese trägt noch Spuren von Pendereckis frühem Stil und deutet mit ihren Satztiteln «Archè» und «Dynamis» auch noch etwas den Geist der damaligen Avantgarde an.
Später schrieb Penderecki gern für etablierte Institutionen und ihre Festanlässe: Die Dritte entwickelte sich aus einem Auftrag des Lucerne Festivals zu dessen 50-jährigem Bestehen, erklang dort 1988 aber nur als Fragment, da der vielbeschäftigte Komponist nicht annähernd fertig wurde.
Die Fünfte: eine heroische Sinfonie
Die Fünfte entstand zum 50. Jahrestag der Befreiung Koreas von der japanischen Besetzung, verwendet ein koreanisches Volkslied und ist eine heroische Sinfonie ganz im Geist von Beethovens Fünfter. Die Siebte schliesslich ist ein Oratorium für Sprecher, Soli, Chor und Orchester, geschrieben zum 3000-Jahre-Jubiläum der Gründung Jerusalems, mit dem Titel «The Seven Gates of Jerusalem». In ihr blickt der Komponist – innerhalb einer spätromantischen Musiksprache – gelegentlich auch zurück auf seine radikalen Jugendwerke.
Pathos und Witz
Viel Pathos und Emotion, Klang, Farbe und Monumentalität findet sich in dieser Musik, aber auch Zartheit und manchmal sogar etwas Witz. Wer nach Bruckner, Mahler und Schostakowitschs Sinfonien Neues sucht, das beim ersten Hören nicht heillos überfordert, ist hier genau beim richtigen Repertoire. Und auch bei den richtigen Aufnahmen.
Krzysztof Penderecki dirigiert alle sieben Sinfonien selbst, und in allen sieben spielt die «Sinfonia Juventus». Das polnische Jugendorchester begegnet sowohl den avantgardistischen Techniken der ersten Sinfonie wie auch der traditionellen Musiksprache der späteren mit der gleichen Unbefangenheit und Kompetenz. Nur von den polnischen Gesangssolisten würde man sich gern ein etwas verständlicheres Deutsch wünschen.
Damit also «Happy Birthday, Meister!» zum 80. Geburtstag. – Ja und was ist nun mit der Sechsten? Von der ebenfalls geplanten Neunten gar nicht zu sprechen?