Busse und Strassenbahnen unterbrachen ihre Fahrt und Menschen strömten aus den Fabriken, als der Trauerzug Maria Tănase auf ihrem letzten Weg zum Friedhof Belu in Bukarest geleitete. 1963 nahm ein ganzes Land von ihr Abschied, berichten Zeitzeugen. Maria Tănase starb knapp 50-jährig an den Folgen von Krebs und hinterliess ein musikalisches Erbe, das lange nur schwer zugänglich war.
Eine Sängerin als Sicherheitsrisiko
Während der Ceaușescu-Diktatur wurde Maria Tănase zum Symbol für die schwer kontrollierbare Macht von Musik – und damit ein Sicherheitsrisiko. Nach dem Mauerfall machten sich Eingeweihte daran, ihre Aufnahmen auch im Westen bekannt zu machen.
Das ist bis heute mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weiss man beim Label Oriente Musik, das Tănase-Aufnahmen in Rumäniens Archiven aufspüren lässt und bisher drei CDs veröffentlichen konnte.
Kaum gesicherte Fakten
Auf Hindernisse stösst, wer nach seriösen Informationen über das Leben der legendären Sängerin sucht. Eine unabhängige Aufarbeitung liegt bis heute nicht vor. Fest steht, dass Maria Tănase 1913 in der Bukarester Vorstadtsiedlung Caramidari aufgewachsen ist und dort, so will es die Legende, im Garten ihres Vaters Lieder aus allen Ecken des Landes gehört und gelernt hat.
Die Mädchen und Frauen nämlich, die sich als Gärtnerinnen bei der Familie verdingt haben, sangen während der Arbeit. Aus der damals noch jüdisch geprägten Region Maramuresch etwa stammt eine melismatisch gesponnene Doina, ein Klagegesang, der als rumänischer Blues Geschichte gemacht hat. Aus dem türkisch geprägten Oltenien sind eigenwillige Liedformen überliefert und eine Gesangstechnik, die dem Jodeln ähnlich ist.
Immer unverwechselbar
Maria Tănase entwickelt auf dem Fundament oraler Traditionen eine Gesangskunst, die sich von der osteuropäischen Hochleistungsfolklore (etwa des Panflötisten Gheorge Zamfir) distanziert. Ob Ballade oder Trinklied, ob Tango oder Vorstadtlied – ihre Altstimme ist stilsicher und vereint Kenntnisse des Belcanto mit dem aufgerauten Parlando der Strasse.
Hier begegnet uns, lange vor der marktträchtigen Erfindung des Crossover, eine unbestechliche Grenzgängerin zwischen Okzident und Orient. Maria Tănase konnte auf musikalische Berater ersten Ranges zählen und erschloss sich ein Repertoire von etwa 400 Liedern aus den unterschiedlichsten Regionen Rumäniens.
Die Sängerin, ein Ethnologe und ein Soziologe
Zugang zu lokalen Musiktraditionen hatte sie durch die Bekanntschaft mit Constantin Brailoiu, dem bedeutendsten Musikethnologen Rumäniens. Er gründete 1928 das Folklore-Archiv in Budapest und liess sich in die pionierhafte Feldforschung des Soziologen Dimitri Gusti einbinden.
Brailoius Mitarbeiter Harry Brauner war als Aufnahmetechniker in den Dörfern unterwegs und bannte die Klänge auf Wachszylinder. Er war es, der Maria Tănase die Aufnahmen zugänglich machte, und sie soll sich während der Antonescu-Diktatur öffentlich bei ihm bedankt haben.
Das war couragiert, denn Brauner war Jude und Tănases Bekanntenkreis stand – wie sie selbst – unter Beobachtung.
Viel Legende – aber wer war sie wirklich?
Ob sie damals als Geheimagentin tätig war, wie eine der abenteuerlichen Überlieferungen lautet, ist bis heute nicht belegt. Ebenso harren ihre Verbindungen zur Securitate (der Geheimpolizei unter Ceaușescu) einer Aufarbeitung.
«Sie war eine Blume», sagt die Sängerin Irina Ungureanu, die neben Sanda Weigl und Oana Cătlălina Chitu zu den jüngsten Interpretinnen ihrer Lieder gehört. Dass Maria Tănase mit der für Rumänien bezeichnenden historischen Verspätung wiederentdeckt und gewürdigt werden kann, ist ein Glück. Ihre Lieder leben nämlich über die Konservierung hinaus weiter, indem sie unterschiedlich avanciert re-interpretiert werden.