Eine lange, graublaue Fläche und darauf wenige weisse Linien und mysteriöse Kritzeleien. Das grossräumige und gleichzeitig minimalistische Werk «Treatise on the Veil» des US-amerikanischen Künstlers Cy Twombly inspirierte Matthias Pintscher zu vier eigenen Werken, zu seinen «Studies for Treatise on the Veil» für kleine Streicherbesetzungen.
Auch die «Studies» breiten sich grossflächig aus. Die Musik strömt langsam, mit langsamem Atem. Über dem ruhigen Grundfluss erklingen zerbrechliche, geräuschhafte «Klang-Kritzeleien».
Der ewige Abschied
Ein anderes Werk, das Pintscher viele Jahre begleitet und inspiriert hat, ist der kurze Text «Départ» von Arthur Rimbaud. «Départ» lässt wie «Treatise on the Veil» dem Rezipienten viel Raum für eigene Gedanken. Bei Matthias Pintscher füllte sich dieser Gedankenraum mit vielgestaltiger Musik. Es entstanden etwa ein gross besetztes Orchesterstück und ein Ensemblestück – beide mit Gesang – und eine ganze Oper mit dem Titel «Thomas Chatterton».
Sich selbst sieht Pintscher aber nicht als ewig
Abschiednehmenden oder als Getriebenen, obwohl er als Dirigent weltweit gefragt und somit ständig unterwegs ist. Er braucht Ruhe um zu komponieren, schreibt nicht auf den letzten Drücker.
Diese Ruhe widerspiegelt sich mehr und mehr in seiner Musik: Während seine frühen Werke mitunter stürmisch und sehr dicht sind, ergibt sich Pintscher in seinen jüngeren Kompositionen gerne der Kontemplation. Er sucht nach klanglicher Klarheit, lässt Ideen viel Zeit um sich zu entwickeln, spinnt Klänge fort und interessiert sich für deren Perspektive.
Kino und Kochen mit Boulez
Inspiration bekam Matthias Pintscher auch von diversen renommierten Mentoren: von Claudio Abbado, Wolfgang Rihm, Hans Werner Henze und allen voran von Pierre Boulez. Es waren allerdings nicht nur musikalische Inspirationen, die er von den erfahrenen und erfolgreichen Musikern erhielt.
Er diskutierte mit ihnen auch über Kunst, über grössere, spartenübergreifende Zusammenhänge und über das Leben im Allgemeinen. So sprach er etwa mit Boulez übers Kino und über Literatur, oder er kochte mit dem Altmeister Ossobuco.
So wie Pintscher von der Inspiration, der Erfahrung, den Netzwerken und der Freundschaft seiner Mentoren profitierte, so will der 45-Jährige jetzt seinerseits jüngere Talente fördern.
Beitrag zum Thema
Etwa, indem er als Musikdirektor des Ensemble Intercontemporain – dem er seit 2013 vorsteht – Werke junger Komponierender aufführt oder in Auftrag gibt. Gleiches hat er auch im Rahmen der Lucerne Festival Academy vor.
Neue Ideen für die Festival Academy
Sein Wissen und seine Erfahrung als Musiker gibt er jetzt als neuer Principal Conductor des Orchesters der Lucerne Festival Academy auch in der Schweiz weiter. Ganz konkrete Ziele für die Academy verrät er allerdings noch nicht.
Er spricht vage über neue Konzertformate, die entwickelt werden könnten; er kann sich vorstellen, dass sich die Academy vermehrt zu anderen Kunstdisziplinen öffnet.
Aber in erster Linie wolle man das weiterführen, wofür die Academy steht und wofür sie von Pierre Boulez auch ins Leben gerufen wurde: Sie soll ein Labor sein für neugierige junge Musizierende, in dem neue Musik auf sehr hohem Niveau und unter hochkarätiger Anleitung erarbeitet, aufgeführt und gepflegt wird.
Sehr wichtig ist für Pintscher – wie für den neuen künstlerischen Gesamtleiter der Academy Wolfgang Rihm – die Pflege des Repertoires. Die Wurzeln der neuen Musik sollen immer im Blick bleiben. Ausserdem wird es weiterhin Konzerte des Academy Orchestras im Ausland geben. Gerade jetzt sind die jungen Musizierenden mit ihrem neuen Principal Conductor in Hamburg im Einsatz.