Am Anfang der Entwicklung steht der Kunde. Der junge Kunde aus der Generation Y oder Z. Frei und unabhängig will er sein, sich mit möglichst wenig Ballast durch die Welt bewegen. Entsprechend wenig erstrebenswert ist das Anhäufen von Besitz.
An die Stelle der Plattensammlung tritt: nichts. Oder: die Möglichkeit, jeden beliebigen Song dann zu hören, wenn es das Gemüt sagt – und ihn wieder im www-Nirwana verschwinden zu lassen, wenn Lust und Laune anderen Melodien zustreben.
Mehr als 1 Milliarde Streamer
Wenig überraschend hat die Streaming-Nutzung allein von 2013 bis 2014 um mehr als 50 Prozent zugelegt. Mehr als eine Milliarde Menschen greifen mittlerweile auf die Dienste zurück. Spotify, das einstige Start-up aus Schweden, ist zu einem Unternehmen mit 1500 Angestellten angewachsen. Die Hälfte seiner Nutzer ist angeblich unter 30 Jahre alt.
Und ab 30. Juni steigt das Unternehmen in diesen Markt ein, das dafür bekannt ist, die Kraftverhältnisse neu zu ordnen, wenn es einmal ein Ziel ins Auge gefasst hat: Apple. Sein Streaming-Dienst geht in 100 Ländern online.
70 Prozent geht an die Labels
Verheissungsvoll ist das Business für all jene, die im Besitz der Rechte von Musikstücken sind: Plattenlabels wie Universal, Sony und Warner setzen auf den Wachstumsmarkt Streaming. Sie erhoffen sich neue Einnahmen, nachdem sie zusehen mussten, wie die Tonträger-Verkäufe immer weiter zurückgingen. Labels kassieren rund 70 Prozent der Streaming-Einnahmen von Songs.
Bleiben die Künstler, die mit ihren Stimmen und ihrem Können erst die Produkte schaffen, an denen so viele nun verdienen wollen. Und diese sind zweifellos zerknirscht.
Einst lautete das Rezept zum Erfolg so: ein Album herausbringen, es mithilfe von Live-Auftritten und im Radio bekannt machen und anschliessend mit dem Verkauf von Tonträgern das grosse Geld verdienen. Heute sieht die Realität so aus: In der Schweiz wird mehr für digitale als für physische Musik ausgegeben – und laut dem Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers wird dies noch in diesem Jahr weltweit der Fall sein.
Kampf gegen Streaming-Dienste
Künstler verdienen pro gestreamtem Titel im Schnitt 0,1 Rappen. Die Schweizer Band Patent Ochsner hält Streaming für einen «Fluch». «Für uns bedeutet das massive Einbussen», sagt Frontmann Büne Huber. Auch wenn ein Song millionenfach gestreamt wird, kommt er nur auf wenige Tausend Franken Einkünfte.
US-Sängerin Taylor Swift macht regelmässig mit ihrem Kampf gegen Streaming-Dienste auf sich aufmerksam. Im letzten Jahr zog die 25-Jährige ihre Songs von Spotify zurück, um, wie sie sagt, «den inhärenten Wert der Kunst» zu schützen.
Kürzlich schrieb sie einen offenen Brief an Apple – sie empfand es als Affront, dass das Unternehmen während der ersten drei Monate seines neuen Streaming-Dienstes kein Geld an die Musiker zahlen wollte; weil auch die User den Dienst in dieser Zeit gratis nutzen dürfen. Die öffentliche Empörung wirkte, Apple bezahlt die Künstler nun vom ersten Tag an.
Auch Daten sind wertvoll
Guido Berger von SRF Digital hält die Aussagen der Musiker für kurzsichtig. Es sei kein Wunder, dass die Umsätze noch tief seien, wenn weltweit erst 40 Millionen Menschen für Streaming-Abos Geld zahlten. Nicht eingerechnet ist der Wert der Daten: «Dank Streaming weiss ein Künstler sehr genau, wie die Leute seine Musik nutzen – wann sie was hören, wie oft, wann sie Songs abbrechen und vieles mehr. Ich bin sicher, dass findige Künstler damit zu arbeiten wissen.»
Zudem formuliert Pricewaterhouse Coopers eine Zukunft, in der es dereinst keine kostenlosen Streaming-Dienste mehr geben könnte. Die Musik gehöre schliesslich nicht den Anbietern – damit hätten die Verteiler und Produzenten eine grosse Marktmacht, was die Preise angehe.
Die 90er-Jahre sind definitiv vorbei
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Soul-Sänger Seven hat sich der neuen Realität gefügt. Neben Konzerten und Merchandising verdient er sein Geld mit Werbeverträgen. So steht er für einen Autohersteller und einen Elektronikkonzern vor der Kamera. Gleichzeitig sagt er: «Am Ende dieser Kette sind Leute, die man vergisst: Studiobesitzer, Produzenten, Studiomusiker, Arrangeure, Komponisten, Texter. Diese Gattung hat es heute am allerschwierigsten. Sie kann nicht ausweichen und ihr Budget anderswo wieder reinholen.»
«Die Zeiten der 90er-Jahre sind definitiv vorbei. Die werden nie wiederkommen», sagt Lorenz Haas vom Schweizer Branchenverband der Plattenlabels. «Wir müssen jetzt schauen, dass wir den Kuchen für alle wieder grösser machen können.» Krise als Chance – daraus sind nicht wenige Innovationen entstanden.