Er hat mehr als ein Dutzend Kinder, der Instrumentenbauer Andreas Stein in Augsburg, aber er erkennt sofort: Seine sechste, die ist es, die die geschicktesten Hände, die grösste Geduld und ein feines Ohr für die Musik hatte. Anna-Maria, die von allen Nannette gerufen wird, verbringt die meiste Zeit in Vaters Werkstatt und lernt früh mit Feile, Leim und Leder zu hantieren. Sie lernt die Tastatur einrichten, sie lernt das Stimmen – überhaupt weiht sie der Vater in alle Geheimnisse des Klavierbauens ein.
Dabei geht er mit dem Mädchen nicht zimperlich um. Wenn ihr etwas beim ersten Mal nicht gleich gelingt, straft er sie mit der Bemerkung «du bist halt ein Weibsbild», was das Kind aber keineswegs entmutigt. Sie arbeitet täglich in der Werkstatt und übt daneben fleissig Klavier.
Mozart zu Besuch
Das Verhältnis zwischen Tochter und Vater wird als innig und eng bezeichnet. Es ist stets Nannette, die sich als erste an die fertigen Instrumente setzt und spielt: «Sie zieht dasjenige heraus, was er hineingearbeitet hat», berichtet ein Besucher.
Auch Mozart schaut in der Werkstatt vorbei, ist begeistert von den Instrumenten und der neuen Technik und berichtet nach Hause, dass das Fortepiano «jetzt nicht mehr schebere». Von den Klavierkünsten der Nannette allerding hält er nicht viel: «Sie grimassiert, macht willkürliche Bewegungen mit den Armen und unsinnige Fingersätze – ein kleines Kind eben, das Grosse nachahmt.» Allerdings gesteht er ihr doch Genie zu, aus dem durchaus etwas werden könne.
Mit Sack und Pack nach Wien
Nach dem Tod ihres Vaters übernimmt Nannette Stein die Werkstatt. Sie heiratet den Pianisten und Freund Schillers, Andreas Streicher, und zieht mit ihm nach Wien, wo sie im 3. Bezirk eine grössere Liegenschaft erwirbt. Um eine Konzession zu bekommen, spricht sie beim Kaiser vor.
Über das Ansinnen der Frau wundert er sich in keiner Art und Weise. Im Gegenteil: «Na, das ist recht schön von Ihnen, dass Sie hierher wollen. Wir haben zwar gute Instrumentenmacher hier, allein berühmt sind sie nicht» – und sogleich unterschreibt er das Papier.
Das florierende Business
Rund 30 Gesellen arbeiten im Streicherhof und in guten Jahren verlassen bis zu 100 Instrumente die Werkstatt. Wer den sanften, schmelzenden Klang vorzieht und mit ihm «Nahrung für die Seele sucht, der kann kein besseres Instrument wählen als ein Streicherisches», steht im Jahrbuch der Wiener Tonkunst. Johann Wolfgang Goethe besorgt sich ein Fortepiano aus Wiener, und wenn er jeweils Besuch vom jungen Felix Mendelssohn bekommt, bittet er ihn «um ein wenig Lärm» auf dem Instrument.
Die Aufgaben im Hause Streicher sind klar verteilt: Nannette, die ihren Betrieb stets unter ihrem Namen und die Instrumente mit «Nannette Streicher née Stein à Vienne» kennzeichnet, betreut die Werkstatt mit den Angestellten, besorgt den Haushalt und zieht die drei Kinder gross.
Andreas Streicher übernimmt die Firmen-PR: Er reist durch die Lande, pflegt Kontakte und baut ein Netz von soliden Geschäftsbeziehungen auf, die für den Absatz der Instrumente exklusiv garantieren.
Die Beziehung zu Beethoven
Auch daheim in Wien wird expandiert: 1812 baut Nannette Streicher zusätzlich zur Werkstatt einen Konzertsaal, wo sie ihre Instrumente ausstellt und wo sie in den Konzerten gespielt werden. Bei der feierliche Eröffnung ist alles da, was in Wien Rang und Namen hat: Der Erzherzog Rudolf, Musiker, Freunde – und Ludwig van Beethoven.
Über 60 Briefe gehen zwischen dem Streicher'schen Haus und Beethoven hin und her. Überlegungen zum Instrumentenbau und zu einzelnen Fortepianos richtet Beethoven jeweils an Andreas Streicher, wünscht mehr Lautstärke oder kritisiert, dass sie zu wenig robust sind. In den Briefen an Nannette Streicher hingegen geht es um die Vorhänge, die sie ihm bitte besorgen möge, oder um Dienstboten, die er unverschämt findet. Und den Aufzeichnungen des Sohnes, Baptist Streicher, ist zu entnehmen, dass ihm Nannette Streicher bisweilen sogar die Wäsche gewaschen und die kaputten Kleider geflickt hat.