Kyle Eastwood lebt in Paris. Seine Begründung: Die Stadt sei angenehm, weniger hektisch als New York und trotzdem weltläufig. Und einige seiner Lieblingsmusiker hätten in den 1950er-Jahren in den Clubs von Saint-Germain-des-Prés gespielt.
Vielleicht aber hat sein Ortswechsel auch damit zu tun, dass in Amerika die Last schwer wiegt, der Sohn einer nationalen Institution zu sein. Vor allem wenn ein junger Mann das künstlerische Erbe der Familie weitertragen will. Und Clint Eastwood ist eine nationale Institution.
Kyle Eastwood hat sich für die Musik entschieden. Mit dieser Berufswahl war er freier, und doch nicht weg von Familien-Traditionen: Clint Eastwood ist bekanntermassen ein grosser Jazzfan.
«Einer der Vorteile, einen berühmten Vater zu haben, ist es, mit ihm backstage die Musiker besuchen zu dürfen», hat Kyle Eastwood einst in einem Interview gesagt. Es gehörte zur Familientradition der Eastwoods, das Jazzfestival in Monterey zu besuchen. Dort habe er noch Legenden wie Dizzy Gillespie und Sarah Vaughan in der Garderobe kennenlernen dürfen. Mittlerweile ist Kyle Eastwood selber ein ernst genommener und anerkannter Musiker.
Eleganter Mittelweg zwischen Erwartungen und Bedürfnissen
Als Junge lernte er, angeregt vom Vater, diverse Instrumente, Klavier, Gitarre, schliesslich aber entschied er sich für den Bass, und zwar sowohl für den Kontrabass als auch das elektrische Instrument. Denn die Rockmusik, die ja eigentlich die mentale Heimat eines 1968 Geborenen ist, verlangt einen Elektrobass, der Jazz einen Kontrabass. Es scheint also, dass Kyle Eastwood in vielerlei Beziehung elegant den Mittelweg zwischen Erwartungen und eigenen Bedürfnissen findet.
1998, mit 30, legte Kyle sein CD-Debut vor, «From There to Here». Dass die CD auf dem Majorlabel Sony herauskam und dass der Jungspund gleich mit der grossen Kelle anrühren durfte, war dann wohl wieder seiner Herkunft geschuldet.
Gleichwohl ist Eastwoods Erstling eine beeindruckende Platte, mit eigenen Stücken und Standards, gespielt von hervorragenden Musikern – zum Teil mit grossem Orchester in Arrangements von Meister Vince Mendoza. Seither sind sechs Alben dazugekommen, zumeist eingespielt mit seinem Quintett. Aus den Stücken sind die grossen Alten herauszuhören, die Kyle Eastwood so verehrt: Horace Silver und Herbie Hancock.
Filmmusik für den Vater
Jazz auf kleinen Clubbühnen ist nicht das einzige Betätigungsfeld von Kyle Eastwood. Sein Vater nutzte die Tatsache, Musikkompetenz in der eigenen Familie zu haben, schon mehrfach, um den Filius mit Soundtracks für seine Filme zu beauftragen.
«Mystic River» im Jahr 2002 wurde so etwas wie das Übungsstück, Vater und Sohn schrieben die Musik gemeinsam. Bei «Million Dollar Baby» bekam Kyle grössere Verantwortung. Und seit «Letters from Iwo Jima» zeichnet er als Komponist für ein halbes Dutzend Clint-Eastwood-Filme verantwortlich.
Kyle Eastwood ist mittlerweile 47 Jahre alt. Er geht seinen Weg mit seinem Vater – und trotz ihm. Und er hat seinerseits eine Tradition begonnen: Seine Tochter ist Schlagzeugerin. Auch in Paris fallen die Äpfel offensichtlich nicht weit vom Stamm.