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Musik Paco de Lucía: Die Gitarre war «sein Albtraum»

Paco de Lucía hat dem Flamenco unermüdlich einen neuen Platz erspielt. Das Gitarren-Genie aus dem spanischen Süden scheute keine Grenzen, auch nicht zu Jazz und Rock. Er brannte für seine Musik. Der Schweizer Gitarrist Marcel Ege erinnert sich an einen Kollegen, der «in einer eigenen Liga spielte».

Wollte man ihn zu sich einladen, sollte man im etwas vorsetzen, was sich mit dem Löffel essen lässt. Und einen «tinto», Rotwein. Dann durfte man mit Paco de Lucía über vieles sprechen, nur nicht über seine Gitarre – «seinen Albtraum», schreibt er in den biografischen Notizen auf seiner Internet-Seite. So redet ein Besessener.

Die Hassliebe zur Gitarre war ein ständiges Thema für de Lucía, bestätigt der Gitarrist Marcel Ege. Nach Konzerten beklagte er sich bei den gratulierenden Kollegen oft über Rückenschmerzen, sprach davon, das Gitarrenspiel ganz aufzugeben. Und in seiner Karriere hat es tatsächlich lange Phasen der Abstinenz gegeben.

Eine Flamenco-Zeitrechnung vor, und eine nach de Lucía

Trotzdem zog es ihn immer wieder zurück auf die Bühne. Auch in den Flamenco-Filmen von Carlos Saura besetzte er eine wichtige Rolle – da spielt er sich selber, den genialen Gitarristen. Und was wäre «Carmen» ohne de Lucías Gitarre? Frei nach Gehör spielt er Georges Bizets Opern-Melodie nach, verändert das Tempo nach den Vorstellungen der Tänzer, und entwickelt aus dem Moment heraus seine eigene, unwiderstehliche Musik, um die Leidenschaft des Flamenco-Paars anzufachen.

Das Zürcher EOS Guitar Quartet, das Ege mitbegründet hat, hat sich selbst einen Namen in der Flamenco-Szene erspielt. Aber gegenüber de Lucía musste jeder Flamenco-Spieler klein beigeben, bestätigt Marcel Ege – auch grosse Kollegen wie Gerardo Nuñez. «Paco a parte», ist man sich in der Szene einig. Er spielte in einer eigenen Kategorie, und dies, seit der junge Mann aus Algeciras zusammen mit seinem Kollegen Tomatito den legendären Flamenco-Sänger Camarón de la Isla begleitete. Die Platten dieses Trios aus den 1970er Jahren setzen bis heute Massstäbe.

Kopfschmerzen vom Jazz

Die Jazzfans wurden aufmerksam auf den spanischen Heisssporn, als er sich mit seinen Kollegen Al di Meola und John McLaughlin zusammentat. Das Trio der Gitarrenstars reiste ab 1977 gemeinsam durch die Welt, und Paco de Lucía erlebte die Konzerte anfänglich als riesige Herausforderung. Die Jazzmusiker, die immer wussten, über welche Akkorde welche Skalen passen, waren ihm meilenweit voraus – erzählte er dem Schweizer Kollegen Marcel Ege. Nach den Konzerten habe er «oft Kopfweh gehabt vor lauter Anstrengung».

Die drei Männer stehen nebeneinander auf der Bühne.
Legende: Paco de Lucía mit Al di Meola und John McLaughlin (von links). Reuters

Paco de Lucía, der schon als Bub von seinem Vater Gitarre spielen lernte, hatte ein untrügliches Gehör. Und er lernte erst spät Noten lesen. Der klassisch geschulte Flamenco-Gitarrist José María Gallardo del Rey half dem genialen Kollegen oft beim Spiel nach Noten, erzählt Marcel Ege. Das Eos Guitar Quartet hatte für sein Jubiläum auch bei Paco de Lucía eine Komposition bestellt. Aber der Flamenco-Star lehnte ab, und empfahl den Schweizern, einer seiner Kompositionen für vier Gitarren zu arrangieren. Als er später die Partitur sah, schaute er sie lächelnd an – das Gefühl, auch ein «klassischer» Komponist zu sein, befriedigte ihn offenbar tief.

Klassik als neue Herausforderung

Vor den CD-Aufnahmen des «Concierto de Aranjuez» von Joaquin Rodrigo zog sich Paco de Lucía 1990 nach Mexiko zurück. Von seinem Haus aus lief er morgens erst mal fünf Kilometer bis zu einer einsamen Bucht, wo er mit der Harpune auf die Jagd ging. Dann trug er den gefangenen Fisch nach Hause um ihn zuzubereiten. Und nach dem Mittagessen setze er sich hin, mit Tonbandgerät, Gitarre – und den Noten. Bis Mitternacht. Nach einem Monat hatte er die Musik auswending gelernt, mit allen Feinheiten.

Am Strand von Cancún hat ihn der Tod ereilt, als er mit seinen Kindern spielte. Für Kollegen war das Zusammenspiel mit de Lucía, wie Tomatito es ausdrückte, «tocar el cielo» – als ob man den Himmel berührte.

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