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Jugendliche auf der Bühne in Boswil
Legende: Der vielversprechende Nachwuchs hat die Erfahrung genossen, die Berufswünsche lauten dennoch Lehrer, Arzt, Ingenieur. Künstlerhaus Boswil

Musik Schweizer Jugendliche entdecken das Komponieren

Komposition steht nicht auf den Stundenplänen von Schweizer Musikschulen. Das «Young Composers Project» will diese Lücke schliessen und lädt junge Talente zu einem Workshop nach Boswil. Doch eine Laufbahn als Komponistin oder Komponist ist der heutigen Jugend meist zu unsicher.

«Young Composers Project»

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Beim sechsten «Young Composers Project» vom Künstlerhaus Boswil lernen zwölf 15- bis 20-jährige Jugendliche zu komponieren. Sie sind fit auf ihrem Instrument und beherrschen die Notenschrift. Bettina Skrzypczak und Benjamin Lang leiten den fünfteiligen Workshop, mitfinanziert wird er vom Lions Club Baden.

Die Gesichter der Jugendlichen strahlen nach dem Abschlusskonzert des «Young Composers Project». Es waren wirklich die Schallwellen ihrer Kompositionen, welche da gerade durch die Boswiler Kirche strömten. Vor einem halben Jahr hüpften die Töne lediglich in ihren Köpfen herum. Mithilfe der Komponisten Bettina Skrzypczak und Benjamin Lang fanden sie an fünf Wochenenden eine Form, landeten auf dem Notenpapier und wurden mit befreundeten Musikerinnen und Musikern einstudiert und uraufgeführt.

Benjamin Lang leitet den Workshop in der idyllischen Umgebung des Künstlerhauses Boswil nun schon zum sechsten Mal: «Die Aufgabe von Bettina Skrzypczak und mir ist es herauszufinden, was die Jugendlichen eigentlich wollen und ihnen möglichst undogmatisch den Weg zur Umsetzung zu weisen.» In Theorie und Praxis beantworten die beiden Dozenten grundlegende Fragen: Wie schreibe ich einen Anfang? Wozu brauche ich eine Skizze? Wie kann ich den Hörer gezielt führen? Und ist mein Stück vom Ensemble überhaupt spielbar?

Der Klang des Jahrgangs 1996

Beim Abschlusskonzert zeigte sich ein breites Spektrum von Stilen und Ideen, denn jeder der Kompositions-Novizen folgte erst einmal ganz seinem Gusto. Der 19-jährige Joël Rehmann aus Brugg hat sich im Rahmen seiner Maturaarbeit das Stück «Company» des amerikanischen Komponisten Philip Glass vorgeknöpft. Sein Problem: es ist ihm viel zu kurz. «Ich liebe dieses Streichquartett, aber es geht leider nur eine Minute und vierzig. Ich habe mir also vorgenommen es zu verlängern», erzählt Rehmann.

Freundin der Kürze ist hingegen die 16-jährige Lea Morgenthaler aus Liebefeld bei Bern. Sie überführte Christian Morgensterns musikophiles Gedicht «Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule» in eine sprudelnde, pointierte Komposition von nur 40 Sekunden. Ganz ohne Vorlage stürzte sich die 16-jährige Jeannine Läuffer aus Abtwil im Aargau in die Arbeit. «Ich habe einen musikalischen Streit zwischen Oboe und Klavier erfunden, weil ich ganz viel Action in meiner Komposition wollte.» Für dieses wilde Duo haben ihr Skrzypczak und Lang die Space-Notation nahe gebracht: nicht die Form der Notenköpfe bestimmt über die Tondauer, sondern eine Zeitskala.

Aller Anfang ist das Bekannte

Joël, Lea und Jeannine wählten in ihren Kompositionen schon fast avantgardistische Zugänge. Die anderen orientierten sich eher an Vertrautem: tonale Musik mit gefühlvollen Melodielinien, die an die Filmmusik von Hans Zimmer («Pirates of the Caribbean») oder Yann Tiersen («Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain») erinnert. «Die Anknüpfung an das Bekannte gibt am Anfang eine gewisse Sicherheit. Mit dem Reifen der Persönlichkeit wandelt sich oft auch der Stil» erzählt die Komponistin Bettina Skrzypczak.

Sie unterrichtet Komposition an der Hochschule in Luzern, Benjamin Lang an der Hochschule der Künste in Zürich. Von den Teilnehmenden des «Young Composers Project» 2013 werden sie höchstwahrscheinlich niemanden in ihren Seminaren wieder sehen.

Keine Lust aufs Künstlerleben

Das liegt keineswegs am mangelnden Talent der Jugendlichen, sondern an ihren Lebensentwürfen: die wenigsten können sich eine Laufbahn als Komponist vorstellen. Ist das Künstlerleben für die dritte Generation nach '68 völlig unattraktiv? Hat sie längst verinnerlicht, was Arthur Honegger bereits in den 50er-Jahren diagnostizierte: dass der bürgerliche Komponist ausgedient hat? Oder entscheidet eher der Kopf als der Bauch über die Berufswahl?

Bei den Jugendlichen spielen durchaus gewisse Zukunftsängste eine Rolle: Jeannine Läuffer ist Komposition als Lebensgrundlage zu unsicher und käme höchstens als Nebenfach beim Musiklehrerstudium in Frage. Auch Lea Morgenthaler wägt genau ab: «Komponieren ist eine langwierige Arbeit, das darf man nicht unterschätzen. Wenn mal die Inspiration versiegt, dann hat man gar nichts mehr». Sie zieht es eher an die medizinische Fakultät als an die Musikhochschule. Und Joël Rehmann brennt nicht nur zufällig für die mathematischen Kompositionen von Philip Glass: Er will Ingenieurwissenschaften studieren.

Der Workshop war für sie nicht also die Vorbereitung auf ein Kompositionsstudium, sondern ein Experiment, das ihnen neue Perspektiven auf die Musik eröffnet. Bleiben wird ihnen, dass sich Mut zur Kreativität lohnt. Und diese Erkenntnis kann ja auch bei Berufen wie Lehrer, Ärztin oder Ingenieur nicht schaden.

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