Olten versinkt im Nebel an diesem Dezembertag. Es ist eiskalt und grau in grau. Eine junge Frau mit frischem Teint geht über die Brücke Richtung Stadttheater. Sol Gabetta, die Cellistin mit der Sonne im Vornamen. Gerade ist sie von einer Australien-Tournee in die Schweiz zurückgekehrt. Auf dem Rücken trägt sie einen weissen Cellokoffer. Darin liegt im Samt-Bett ein über 250-jähriges Instrument: eines der seltenen Guadagnini-Violoncellos von 1759.
«Das ist ein ganz besonderes Cello. Ich hatte schon mehrere Jahre Barockkonzerte gespielt mit einem modernen Instrument. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, dann habe ich dieses Cello gefunden. Davon hatte ich immer geträumt», sagt Sol Gabetta.
Seit sieben Jahren spielt sie nun damit auf Darmsaiten. Diese sind viel empfindlicher und schwieriger zu beherrschen, weil sie viel feiner und unvorhersehbarer auf äussere Einflüsse reagieren.
«Natürlich sind die Darmsaiten auch viel leiser, aber ich mag das Leise, Raffinierte – diese Klangfarben. Das hat eine ganz eigene Kraft. Die Power kommt von innen, vom Herz, und bei den Metallsaiten kommt sie von oben, wie eine Decke.» Sol Gabetta spricht mit den Händen und streckenweise ohne Punkt und Komma. Es ist ein Fluss von Begeisterung und Leidenschaft für ihr Instrument und für die Musik.
Das Verständnis unter Geschwistern
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Andrés Gabetta ist der grosse Bruder von Sol, auch er ein brillanter Musiker. Der Barockviolinist ist in der Cappella Gabetta Konzertmeister, er leitet das Barock-Ensemble. Wenn die Geschwister nebeneinander sitzen, ist ihre Ähnlichkeit unübersehbar und die Verständigung geht leicht.
Andrés sagt, Sol sei ein Wunderkind gewesen. Sie habe schon als kleines Mädchen mit einem Holzstöckchen sein Geigenspiel imitiert und später sauste sie mit flinken Fingern auf ihrem Cello auf und ab. Sol unterbricht ihn: «Das stimmt doch nicht, bei dir war alles immer ganz leicht, du hast es immer so locker genommen mit der Geige.» Die beiden lachen viel. Es ist das typische Verständnis unter Geschwistern, die auch Freunde sind.
Für das Oltener Weihnachtskonzert haben sie Vivaldis Konzert für zwei Mandolinen umarrangiert für Cello und Geige. Sol Gabetta: «Man muss dazu wissen, dass Vivaldi selber immer für das Orchestra della pietà geschrieben hat. Das waren lauter junge Frauen zwischen 12 und 18 Jahren. Und je nachdem, wer gerade da war, mit welchem Talent, hat Vivaldi jeden Tag etwas für die jeweiligen Musikerinnen geschrieben.» Diese Zeit sei viel freier gewesen, als man sich das heute vorstelle. Daher gebe es aus ihrer Sicht keinen Grund, so ein wunderbares Stück nicht anzupassen.
Ein musikalisches Abenteuer
Heute ist Sol Gabetta viel berühmter als ihr grosser Bruder. «Für mich ist es ein Traumleben, aber man ist viel unterwegs, fast nie zuhause. Ich bin mir nicht sicher, ob das für Andrés auch ein Traumleben wäre, er ist viel sozialer.» – «Ja, ich bin nicht gern allein», sagt er und lacht.
Dann musizieren sie zusammen. Sol summt vor, Andrés übernimmt mit der Geige. Die Darmsaiten von Sol Gabettas Barockcello klingen warm und leise. Wie sich die Saiten aber im Weihnachtskonzert verhalten werden, ob ihnen dann die Scheinwerfer zu heiss sind oder der Tag zu kalt, weiss niemand. Das ist die Herausforderung, die die junge Musikerin liebt: ein musikalisches Abenteuer mit ihrem Barockcello zum Weihnachtsabend.