Domestic Data Streamers , das Kollektiv aus Barcelona, beantwortet die Gretchen-Frage der digitalen Kultur mit salomonischer Weisheit. Die besten musikalischen Ratschläge bekommt, wer Maschinen-Knowhow und Menschenkenntnis kombiniert.
Der Song zur Stimmung
Für das Sonar+D haben die Tüftler den Timekeeper entwickelt: einen futuristisch illuminierten Apparat aus fünf Plastikröhren, durch den wie bei einer Kugelbahn Glasmurmeln kullern. Ab und zu lässt ein Greifarm eine neue in die Maschine fallen. Zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt wird die Kugel die Maschine verlassen und dem User per E-Mail einen Song vorschlagen, der genau zu der Situation und der Stimmung passt, die der Nutzer dann erleben will.
«Wir analysieren dazu die Hörgewohnheiten auf Spotify und gleichen sie mit den Ergebnissen aus einem psychologischen Test ab», erklärt Miterfinder Dani Llugany. «So erfahren wir nicht nur, was, sondern auch warum wir etwas mögen.» Hunderte Nutzer haben sich während der drei Festivaltage auf dem Timekeeper eingeloggt, im Sommer werden die Ergebnisse ausgewertet.
Solche Experimente sind charakteristisch für das Sonar+D. Das Festival kombiniert Experimentierfreude mit – auch kritischen – Fragen nach dem Quo Vadis digitaler Kultur.
Algorithmen nicht von dieser Welt
So warteten Technikaffine heuer gespannt auf den Vortrag der Spotify-Macher Matthew Ogle und Ajay Kalia. Sie erklärten erstmals vor grossem Publikum, wie der weltweit grösste Streaming-Dienst die Profile seiner 89 Millionen Nutzer erstellt. Der Algorithmus analysiert nicht nur Songstruktur und Hörerverhalten; er wertet auch aus, wie über die Lieder gesprochen wird – und ergänzt die gewonnen Erkenntnisse mit persönlichen Befragungen.
«Es gibt Kombinationen, die kein Algorithmus der Welt voraussagen kann», sagt Spotify-Macher Ajay Kalia und zitiert einen Nutzer, der neben James Brown und Otis Redding auf die Nu-Metal-Band Limp Bizkit zu seinen Lieblingen zählt.
Der Mensch lebt
Wem die Macht der Maschine eher unheimlich ist, fand in Internet-Forscherin Kate Crawford eine Verbündete. Die Big-Data-Kritikerin warnte eindringlich vor einem unreflektierten Umgang mit Daten: «Alle arbeiten mit Algorithmen, aber wie sie wirklich funktionieren, wissen selbst ihre Macher nicht.»
Auch BBC-Musikchef Jeff Smith hielt ein eindringliches Plädoyer für die Vorherrschaft des Menschen vor der Maschine. «Wenn ich einen Song empfehle, dann steckt dahinter auch meine gesamte Lebenserfahrung», appellierte Smith. Die Tage der hand- und ohrverlesenen Musik seien noch lange nicht gezählt.
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Unterschiedlichsten Ansätzen Raum geben
Eine verbindliche Antwort blieb das Festival ganz bewusst schuldig: Die Macher interessieren sich mehr für Schnittmengen als für klare Zuschreibungen – auch auf dem Gebiet der digitalen Kunst. Gleich mehrere Projekte vereinten Kunst und Wissenschaft. In Zusammenarbeit mit dem Sonar+D hat die Forschungseinrichtung ALMA Daten aus dem Nebel des Orion in Klänge verwandelt und Musiker daraus teils sehr tanzbare Musik komponieren lassen.
Das Duo Semiconductor liess in die Erde ächzen und stöhnen. Für «Earthworks» haben die britischen Künstler Daten zu Erdbeben, Gletscherbewegungen, der Aktivität in Steinbrüchen gesammelt, in Klänge verwandelt und auf Grossleinwänden zu einer beeindruckenden Installation kombiniert. Den unterschiedlichsten Ansätzen Raum zu geben und dabei stets das grosse Ganze im Blick zu haben – das ist die grosse Stärke des Sonar+D.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 20.06.2015, 17:15 Uhr