Fiktion interessiert Tania Saleh nicht. Die 45-jährige Musikerin aus Beirut fängt wie eine Dokumentarfilmerin Realitäten im Libanon ein, zoomt Bilder heran. Nichts entgeht ihrem wachen Auge. Tanja Saleh komponierte die Musik und schrieb die Texte auf ihrem gerade erschienen Album «A Few Images» selbst.
Modern, emanzipiert, traditionell
Scharfsinnig nimmt sie Umbrüche in der arabischen Welt wahr. Die Libanesin ist eine moderne, emanzipierte Frau: Um das Geld für ihre Musik zu verdienen, arbeitet sie seit 20 Jahren in der Werbebranche.
Doch auch, wenn Tanja Saleh ein modernes Leben führt: Die politische Situation in ihrer Heimat konfrontiert sie immer wieder mit der traditionellen arabischen Welt. «Wir wissen nicht, wohin wir gehören», sagt sie. Die Situation in ihrem Land sei angespannt. Zudem ist der Libanon von Konfliktgebieten umgeben: im Süden von Israel, im Norden und Osten von Syrien. «Nur das Meer ist der einzig friedvolle Nachbar.»
«Die Frauen im Libanon leben von Tag zu Tag»
Die Libanesinnen, sagt Tanja Saleh, seien wie alle Frauen: stark und kämpferisch. Die Frau im Libanon aber lebe von Tag zu Tag. Sie habe schon Vieles erfahren – Invasionen, Krieg oder Naturkatastrophen: «Wie soll da eine Frau und Mutter ihren Kindern Hoffnung und Zuversicht geben?», fragt die zweifache Mutter und fährt fort: «Es ist schwer, an diesem Ort zu leben, wo es nicht einmal einen Park zum Spazieren gibt.»
Präzise gibt Tania Saleh im Lied «She Doesn’t Love You» Einblick in die Gefühlswelt einer modernen arabischen Frau. Der Song basiert auf einem Gedicht des palästinensischen Poeten Mahmoud Darwiche: Eine junge Libanesin gibt ihrem Partner zu verstehen, dass auch sie Zeit und intime Momente für sich braucht. «Das ist in unserer Gesellschaft ein absolutes Tabu.»
Rock, Folk, Jazz, Bossa Nova
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Vor kurzem sind mehrere libanesische Frauen ums Leben gekommen – ihre Ehemänner haben sie zu Tode geschlagen, weil sie es wagten, zu widersprechen. «Bei uns darf die Frau nicht offen erklären, dass auch sie eigene Wünsche hat», so Tania Saleh. «Das hat bei uns eine grosse Debatte ausgelöst. Ich will das Bewusstsein für die Tragweite dieser Ereignisse schärfen.»
Tania Saleh war gerade sechs Jahre alt, als der libanesische Bürgerkrieg ausbrach. Sie konnte weder eine reguläre Schule besuchen noch eine musikalische Ausbildung machen. Im Elternhaus hörte sie klassische arabische Lieder und begann früh, Melodien nachzusingen. Mit 25 – der Bürgerkrieg war seit vier Jahren beendet – nahm sie Gesangsunterricht und entdeckte Rock, Folk, Jazz und Bossa Nova.
Politische Forderungen bringen Zensur
Die Spannung zwischen Moderne und Tradition setzt in der Musik neue Impulse frei. Im Titelstück «A Few Images» etwa hat sich Tania Saleh von Bossa-Nova-Rhythmen inspirieren lassen. Das aktuelle Album hat aber auch eine libanesische Klangfarbe: Es soll zu hören sein, woher die engagierte Sängerin kommt. Ebenso wichtig sind ihr moderne Elemente. Ihre Kreationen sollen immer etwas Neues und Frisches haben.
In ihren Liedern fordert Tania Saleh nach 30 Jahren endlich neue Gesichter in der Regierung. Solche kritischen Songs sind weder im libanesischen Radio noch im Fernsehen zu hören. Im Internet findet sie jedoch viele Anhänger: Tania Saleh ist Vorbild für viele junge, alternative Musikerinnen im Libanon. Daraus schöpft sie die Kraft, unbeirrt weiterzumachen.