Schon als kleiner Junge ist er filmsüchtig. Michael Giacchino schmuggelt sein Kassettengerät ins Kino und hört sich nachts die aufgenommenen Soundtracks immer und immer und immer wieder an, den Lautsprecher unterm Kopfkissen: «Der weisse Hai», «Back to the Future», «Jäger des verlorenen Schatzes». Und «Star Wars». John Williams‘ Musik zum Weltall-Epos gibt ihm schliesslich den entscheidenden Kick, Giacchino weiss ab sofort: Ich will auch nach Hollywood!
Filmmusik ist Handwerk
Der fröhliche Krauskopf mit italienischen Wurzeln lernt sein Handwerk von der Pike auf, vertont zuerst Videospiele von Stephen Spielberg und TV-Serien wie «Lost». Bald hat er seinen ersten Oscar in der Tasche für «Up», einen rührenden Animationsstreifen um den alten Carl und seinen Lebenstraum.
Überhaupt liegen ihm Trickfilme, auch «Ratatouille» mit der kochenden Ratte und «Incredibles» mit den schrägen Superhelden hat er vertont. Dessen Regisseur Brad Bird machte ihm die Bedeutung der Filmmusik klar, bevor er überhaupt einen Ton geschrieben hatte: «Deine Musik kann meinen Film komplett ruinieren, ist das klar?»
Handwerk, Handwerk, Handwerk
Giacchino hat den Film nicht ruiniert, im Gegenteil. Das liegt an seiner Fähigkeit, sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung anzupassen. Je nach Genre schreibt er für swingende Bigbands, romantische Wagner-Orchester oder französische Musette. Denn Filmmusik ist vor allem eines: Grundsolides Handwerk. Giacchino schreibt zwar nicht mehr mit Bleistift und Papier wie sein Vorbild John Williams, aber er skizziert seine Ideen zuhause am guten alten Klavier, bevor er sich an den Computer setzt, auf dem er den Film nach Sequenzen getimet vor sich hat. Und zuallererst schaut er den bis auf die Musik fertigen Film zusammen mit dem Regisseur an. Die beiden diskutieren die Figuren, ihre Gefühlslagen und, ganz entscheidend, die Wirkung aufs Publikum.
Filmmusik ist Manipulation
Beim Entwerfen des Soundtracks geht Giacchino nach dem guten alten Hollywoodprinzip vor: Illustrieren und Emotion verstärken. Er liebt es, wenn seine Musik selbst die Geschichte erzählt wie in seinem neuesten Opus für «Star Trek Into Darkness». Das klingt meist basslastig, unheilschwanger, verkündet Gefahr und Abenteuer im Weltraum.
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Diese Art der Suggestion und Manipulation hat Giacchino bei den Klassikern gelernt, bei Geschichtenerzählern wie Rossini und Wagner. Von Wagner stammt auch das Prinzip des Leitmotivs, eine kleine Melodie oder Akkordfolge für jede wichtige Figur, die sich zusammen mit ihr weiterentwickeln kann. Berühmt sind John Williams‘ Leitmotive für das Personal von «Star Wars», zum Beispiel für den bösen Darth Vader oder den guten Luke Skywalker. Und auch Giacchino führt diese Tradition weiter, die Vorgänger wie Max Steiner oder Erich Wolfgang Korngold geprägt haben, beide europäische Exilanten der Nazizeit. So prägt die europäische Orchestertradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts die grossen und fetten Hollywoodfilme bis heute.
Anonym? Gottseidank!
Dass nicht all zu viele Leute die Bedeutung der Filmmusik kennen, stört Giacchino nicht. Er ist heilfroh, nicht von Paparazzi verfolgt zu werden, sondern in relativer Anonymität einkaufen zu können. Er hat, das ist seine feste Überzeugung, den Fünfer und das Weggli. In Hollywood darf er in seiner geliebten Filmwelt sein, aber immer noch ein normales Leben führen.