Tod Machover ist erstaunt über Luzern: «In andern Städten will man möglichst weghören. Man versucht, die akustischen Signale auszuschalten. In New York zum Beispiel gibt es so viele Klangsignale aufs Mal, dass man verdrängen muss.» Aber in Luzern sei das anders, meint Machover. Die Soundstruktur hier lade geradezu ein, inne zu halten und zu horchen. Tod Machover ist der Mann, der Städte akustisch analysiert, um ihr Seele zu ergründen. Gelungen ist ihm dies bereits mit Toronto und Edinburgh.
Kuhglocken als Soundteppich
Wie klingt denn nun Luzern? Luzern, das bedeutet viel Holz und viel Wasser. Töne, die langsam ins Ohr dringen. Und eine Sprache auf den Strassen, die seltsam musikalisch klingt. Sobald man etwas ausserhalb des Zentrums ist, im Naherholungsgebiet am Rotsee etwa, hört man Kuhglocken.
«Ich habe schon viele Kuhglocken gehört in meinem Leben. Aber diese hier sind anders. Die Kühe sind so ruhig, dass es einen regelmässigen, schönen Soundteppich gibt. Nur wenn eine Fliege stört, wird diese Struktur durcheinander gewirbelt. Es entsteht eine kurze Aufregung, dann ist wieder meditatives Minimal-Music-Gebimmel zu hören.»
Sinfonie aus Luzerner Klängen
Idyllisch, wie der Mann diese Touristenstadt in der Innerschweiz hört. Aber vielleicht ändert sich das noch – Tod Machover ist erst ganz am Anfang seiner Arbeit über Luzern. Er ist im Auftrag des Lucerne Festivals in die Schweiz gereist und soll eine grosse Luzerner Sinfonie schreiben, die 2015 uraufgeführt wird. Dafür sammelt er Klangmaterial, vor Ort mit seiner Crew.
Aber nicht nur: Tod Machover lässt auch sammeln: Via Internet hat er dazu aufgerufen, ihm alle akustischen Signale, die interessant erscheinen, zukommen zu lassen. Jeder und jede darf mitmachen . Er hört sich die Klänge an, ordnet sie ein und gibt sie dann teilweise wieder frei im Internet, sodass kollektiv mitkomponiert werden kann. Crowdsounding sozusagen.
Puzzle-Teile einer grossen Sinfonie
Am Schluss wird er all die gesammelten Audios zu einer Partitur für Orchester verarbeiten. In diesen Tagen trifft er dazu das Lucerne Festival Academy Orchestra, um erstes Basismaterial aufzunehmen: Akkordabfolgen und Grundklänge. Diese Klänge sind aber nur ein Puzzle-Teil für die grosse Sinfonie, das Urmaterial sozusagen.
Am liebsten hätte Tod Machover nächstes Jahr die zehn Kühe vom Rotsee live auf der Bühne des KKL. Und das Orchester dazu. Und gleichzeitig natürlich elektronisch eingespielte Musik aus den gesammelten Klängen. «Ich weiss aber nicht, ob die Verantwortlichen da mitmachen würden», meint er lachend.
Vielleicht entdeckt Tod Machover aber bis dahin auch noch dunklere und gefährlichere Klänge als Kuhgebimmel. Luzern ist zwar nicht New York, aber doch eine Stadt mit einigem akustischen Potenzial.