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Musik Stromae, der Poet der Massen

2010 stürmt ein Song die Hitparade: Treibend, tanzbar und irgendwie melancholisch. Der Interpret: Ein sogenannter Stromae aus Belgien. Ein One-Hit-Wonder? Fehlanzeige. Stromae legt nach, trifft wieder einen Nerv. Der 28-Jährige benennt, was viele junge Erwachsene beschäftigt.

Wer Stromae für ein One-Hit-Wonder hielt, wurde im August 2013 eines besseren belehrt. Stromae veröffentlichte sein zweites Album «Racine carrée». Diese Platte wird nicht nur ein Riesenerfolg, sie ist richtig gut.

Songs von Stromae

Es scheint, als treffe der junge Belgier mit seinen poetischen Texten den Nerv der Zeit. Mit Leichtigkeit spürt er gesellschaftliche Disharmonien auf und verpackt sie in eingängige Melodien, angereichert mit einer guten Portion Melancholie. Seine Texte handeln von Rassismus, Krankheit, sozialer Entfremdung, digitalen Medien und immer wieder von Mann, Frau und Kind. Dabei sucht Stromae auch die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biographie.

Stromaes Leçons

Stromae wurde 1985 als Paul Van Haver in Brüssel geboren. Er ist der Sohn einer Belgierin und eines ruandischen Architekten. Sein Vater verliess die Familie, als Paul noch klein war. Er ging zurück nach Ruanda, wo er während des Genozids ermordet wurde. Damals war Stromae neun Jahre alt. Seine Mutter zog die vier Kinder alleine gross.

Stromae ging auf die Filmschule und fing an, Musik zu machen. Allein, zuhause, mit seinem Computer. Wer wissen will, wie seine Songs entstehen, findet unzählige «Leçons» im Internet. In den Videos zeigt er, wie er die Lieder komponiert.

Von Liebenden und Verlorenem

Leçons von Stromae

Sein eigenes Leben ist allgegenwärtig in den Texten. Immer wieder erzählt er von zerrütteten Beziehungen, von gemeinsamen Träumen und verlorenen Hoffnungen. In «Formidable» bejammert er – ja, er jammert, denn er versteht sich auf die Kunst der Inszenierung – das jähe Ende einer Beziehung. Und auch der fehlende Vater geistert durch viele seiner Songs. Am prominentesten in « Papaoutai », also «Papa, où t’es?» – «Vater, wo bist du?» Doch der Song ist mehr als der Schrei nach dem Herrn Papa. Es ist vor allem eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Kinderwunsch und der Frage, was es wohl bedeutet, ein guter Vater zu sein:

Un jour où l’autre on sera tous papa, et d’un jour à l’autre on aura disparu

Serons-nous détestable? Serons-nous admirable? Des géniteurs ou des génies?

Eines Tages werden wir Papa sein, und eines Tages werden wir verschwunden sein. Werden wir verabscheuenswert sein? werden wir bewundernswert sein? Erzeuger oder Genies?

Es ist einer dieser Momente in Stromaes Songs, wo klar wird, warum sich viele mit seinen Texten identifizieren können. Er schafft es, zu benennen, was vielen jungen Erwachsenen unter den Nägeln brennt. Verantwortung übernehmen? Kinder haben, ohne zu wissen, was die Zukunft bringt? Sich für einen Weg entscheiden, wenn es doch so viel anderes zu entdecken gibt?

Entfremdung und Hass

In seinen Songs klingt eine merkwürdige Desillusionierung an. So auch in « Carmen », in dem er das Spannungsfeld zwischen digitaler Vernetzung und Entfremdung auslotet und sich musikalisch an der Habanera-Arie bedient:

L’amour est comme l’oiseau de Twitter. On est bleu de lui, seulement pour 48 heures. D’abord on s’affilie, ensuite on se follow, on en devient fêlé, et on finit solo. Prends garde à toi.

Die Liebe ist wie der Twitter-Vogel. Er macht einen blau, aber nur für 48 Stunden.

Zuerst schliesst man sich an, dann folgt man sich, dann bekommt man einen Knall und dann ist man wieder solo. Pass auf dich auf!

Doch Stromae kann auch politisch, wie in « Bâtard », Bastard. Eine Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Rassismus. Und ein verächtlicher Blick auf jene, die sich gern aus allem raushalten:

Han, pardon, Monsieur ne prend pas parti. Monsieur n’est même pas raciste, vu que Monsieur n’a pas de racines. D’ailleurs Monsieur a un ami noir, et même un ami Aryen. Mieux vaut ne rien faire que de faire mal.

Ah, Entschuldigung, Monsieur ist nicht parteiisch. Monsieur ist noch nicht mal Rassist. Monsieur hat auch keine eigenen Wurzeln. Ausserdem hat Monsieur einen farbigen und sogar eine arischen Freund. Besser nix tun, als etwas Falsches zu tun.

Die leisen Töne sind am eindringlichsten

Die schönsten Songs des Albums sind die Sanften. « Ave Cesaria » ist eine fast zärtliche Verneigung vor seinem Idol, Cesaria Evora, die Sängerin von den Kapverden. Er hat sie einmal getroffen und sich doch nicht getraut, sie anzusprechen, so hoch der Respekt vor dieser Ausnahmekünstlerin.

Überhaupt scheint Stromae sich seiner erst kurzen Karriere bewusst zu sein und verneint jeglichen Vergleich mit Künstlern wie zum Beispiel dem belgischen Chansonnier Jaques Brel. Stromae – Slang für Maestro – ist die Überraschung im Popzirkus. Er ist die Stimme einer ganzen Generation junger Erwachsener, er schreibt den Soundtrack zu ihren Krisen, ihren Sehnsüchten, ihren Hoffnungen. Ein formidabler Popstar.

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