«Tzigane», die «Zigeunerin», wie Maurice Ravels berühmte Konzert-Rhapsodie für Violine und Orchester übersetzt heisst – hat eine Schwester. Und zwar die Märchenerzählerin aus Not: Scheherazade.
Auch sie inspirierte Maurice Ravel zu einem Orchesterstück. Genauer zu einer «ouverture de féerie», dem Vorspiel zu einer nicht zustande gekommenen Oper des damaligen Konservatoriumsstudenten Ravel.
Ravel, der Erzähler
Erst die Oboe, dann die Flöte und dann ein Piccolo heben mit jeweils drei Ganztonschritten den Vorhang zu einem bezaubernden 12-Minuten-Stück, dem ersten Orchesterwerk Ravels. Tänzerische Streicher bringen die Musik in Schwung.
Ravel ist hier ganz der Erzähler, dreht und wendet das Hauptmotiv, spinnt es weiter, verkürzt es, lullt uns mal ein damit, lässt es säuseln, türmt es zu einem gefährlichen Forte auf – er variiert, wie es nur geht. Schliesslich, Kenner von «1001 Nacht» wissen das, droht Scheherazade bei Erzählstopp der Tod.
Der Klangteppich leuchtet
Maurice Ravel hat nicht aufgehört zu erzählen, auch wenn sein Werk für Orchester überschaubar ist. In diesem frühen Stück hört man schon Einiges, was auch den späteren Komponisten Ravel ausmacht.
Die Ungeduld, ein sich beschleunigendes Drehen, das abrupt zu einem Stopp kommt. Die von einer tiefen Trommel unterstützten Höhepunkte, die oft etwas Katastrophisches haben. Die schnellen Wechsel zwischen Holz- und Blechbläsern, die raffinierten Kombinationen von Instrumenten. Hohe Streicher etwa, die mal solistisch spielen, mal wellenförmig einen hell leuchtenden Klangteppich ausbreiten.
Kontrollierte Explosionen
Viele seiner Orchesterwerke hat Ravel ursprünglich für Klavier geschrieben. So sind «Le Tombeau de Couperin» oder die «Valses nobles et sentimentales» in der Klavierfassung genauso wenn nicht sogar bekannter als die gleichnamigen Versionen für Orchester.
Klavier und Orchester kommen in den beiden Klavierkonzerten zusammen. Mit der Solistin Yuja Wang hat man für die Aufnahme eine Pianistin dafür gefunden, deren Stil demjenigen Bringuiers gleicht.
Sportlicher Zugriff, technische Virtuosität mit einem Flair für Tempi an der oberen Grenze. Ein kühles Kontrastieren etwa in den Lautstärkeunterschieden, bis hin zur kontrollierten Explosion. Da wird erzählt, was das Zeug hält, was die Musik hergibt. Ganz so, als ob hinter dem Flügel noch eine gewisse Sheherazade stünde.