Udo Jürgens war ein Stück Pop-Kultur. Da ist vieles, was zum Mythos taugt. Die Inszenierungen seiner Konzerte waren treffsichere Messen für alle, die mit Religion wenig, aber mit ethischer Wärme viel anfangen konnten. Er war der Mann am Klavier, der den Soundtrack zu einem Stück Deutschland lieferte.
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Als kleiner Junge bekam er von einem Nazi derart eine geknallt, dass er auf dem einen Ohr nie wieder richtig hören konnte. 1970 rechnete er mit Deutschland ab: «Lieb Vaterland». Udo Jürgens sang seine Version der «Wacht am Rhein»: «Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden aus dunkler Tiefe einen Weg gefunden. Ich kann dich nicht aus heissem Herzen lieben, zu viel bist du noch schuldig uns geblieben.»
Einer singt und Tausende sagen: «Genauso ist es»
50 Jahre lang komponierte der Mann, veröffentlichte Alben, eins ums andere, füllte Hallen, Arenen. Live-Konzerte waren für Fans der Höhepunkt. Bei den Konzerten wurde es immer wieder still. Er spielte Klavier, sang – er konnte beides hervorragend. Eine Seltenheit.
Udo Jürgens allein in einem Lichtkegel, Tausende im Dunkel, davon lebt Pop-Kultur. Von der Asymmetrie. Und Davon, dass ein einzelner Mensch gesamtgesellschaftliche Resonanz bekommt, dass einer etwas zum ersten Mal so beschreibt, dass Tausende berührt sind und sagen: «Genau. So ist es.» Udo Jürgens war ein schwitzender Arbeiter. Man kriegte was für sein Geld. Arbeiter, kein Prolet, auch kein reicher Prolet. Der Mann hatte in der Öffentlichkeit stets Stil.
Gesellschaftskritik im dunklen Anzug
Politisch war er immer wieder mal, parteipolitisch nie. Zumindest nicht auf der Bühne. Er hat die Politik im Zwischenmenschlichen beschrieben wie etwa mit seinem «Ehrenwerten Haus». Darin beschreibt er Rassismus, Sexismus, Ressentiments, Hass, Frustration, Generationenkrieg und Familiendesaster. All das hat er eingedampft in den Kosmos eines Mietshauses, das in jeder deutschen Stadt stehen könnte, und das wohl auch tut.
Humanismus zum Mitklatschen
Die Differenz von Verpackung und Inhalt ist der Hintergrund, weshalb ihn schwergewichtige Kulturkritiker ignorierten. Für die war das nur Humanismus zum Mitklatschen. Beelendet hat ihn das. Er wäre gerne akzeptiert worden. Er hat damit gelebt. Nicht nur schlecht. Auch Unterhaltung hat eine Haltung.
Mit Udo Jürgens eigenen Worten: «Ich hab` mich immer bemüht, mit Liedern wie ‹Lieb Vaterland› oder das ‹Das ehrenwerte Haus›, Gesellschaftstöne anzuschlagen aber eben im dunklen Anzug. Weil uns da genau die Leute zuhören, die wir ein wenig verändern wollen. Die haben mir immer zugehört und die habe ich schockiert.»
Eine politische Position trauten ihm viele nicht zu. Aber er hatte sie. Seit den 1970er-Jahren schrieb er immer wieder Songs, die man getrost unter «linker Liedermacher» hätte laufen lassen können. Aber Udo Jürgens passte da nicht hin, ins linksliberale Öko- und Friedensbewegungsprofil. Obwohl er da sporadisch zuhause war.
Tanz auf dem Vulkan
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Und dann gab es für Kritiker auch noch das Problem mit den Songs: Die konnte man mitklatschen, dazu wippen. Tanzbare Gesellschaftskritik, auch noch erfolgreich. Aus Sicht des Feuilletons ging das nun gar nicht: Er blieb «Schlagersänger», dessen Lieder man im Bierzelt grölt, manchmal «Chansonnier». Aber er blieb dran.
Er schrieb über einen Papst, der in Afrika Kondome verbietet. Das Video und der Song sorgten für einen Skandal allererster Güte. Von manch katholischer Sendeanstalt wurde er indiziert. Aber nicht nur der Papst geriet in sein Visier. Zunehmend kamen Umweltthemen.
In «Tanz auf dem Vulkan» heisst es:
«Die Erde gedeiht seit so vielen Jahr'n,
jetzt wird's aber Zeit, sie in den Graben zu fahr'n.
Wir plündern sie aus, wir heizen ihr ein,
das überlebt auf die Dauer kein Schwein!
Die Eskimos schwitzen, der Eisberg ertrinkt,
die Mächtigen reden und Venedig versinkt.
Dafür raucht der Schornstein, die Kurse zieh'n an,
Willkommen beim Tanz auf dem Vulkan!»
«So müssen Texte heute aussehen»
Über den Song sagte er im Interview, der Text gefalle ihm, der war ihm wohl phasenweise rausgerutscht. Als die Zeilen mit den «Eskimos und Venedig» draussen waren, dachte er sich: «So müssen Texte heute aussehen.»
Später fasste er diesen Moment in ein Lied: «Ich will den Text, der sich was traut, das Wort wie ein Schwert. Bis ans Ende meiner Lieder.»
Udo Jürgens hat mit «Tanz auf dem Vulkan» einen Song komponiert, der zusammenfasste, was der Club of Rome an Zivilisationskritik zu sagen hatte.
Udo Jürgens hat Lieder geschrieben, wahre, über das Leben. Manche waren politisch. Links von der Mitte. Und er hat sie so verpackt, dass man im ersten Moment nicht mitbekam, was das für ein Text war. Da war's aber schon zu spät. Da war er schon in den Köpfen. Udo Jürgens beherrschte die klug kalkulierte Mogel-Verpackung. Ein Agent Provocateur par excellence. Adieu.