«Wenn du es in Lagos geschafft hast, hast du es in ganz Afrika geschafft», sagt Yemi Alade. Sie weiss, wovon sie spricht. Sie hat 130'000-Facebook-Follower und mehrere Awards als «Best African Act» gewonnen – und ist stolz darauf. Stolz ist sie auch darauf, den Wechselkurs in die nigerianische Währung Naira vergessen zu haben – denn sie zahlt nur noch in Dollar. Und auch darauf, dass sogar auf ihren Konzerten in Europa Fans in Ohnmacht fallen.
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Ungeschminkt, im Jogginganzug, sitzt Yemi Alade auf dem Hotelbett und ist ganz hibbelig. Die 25-Jährige geniesst die Rolle der Pop-Diva und ist gleichzeitig dankbar: «In Afrika mögen wir als Nigerianerinnen bekannt sein, aber eine internationale Karriere von Lagos aus ist untypisch.» Lagos macht es jungen Künstlerinnen und Künstlern nicht leicht: 18 Millionen Einwohner, Chaos total, permanente Stromausfälle – die nigerianische Hauptstadt ist nahe am Zusammenbruch. «Lagos ist ein schwieriger Ort, um eine Musikkarriere zu starten. Alle bemühen sich, damit es irgendwann mal klappt, so entsteht ein riesiges Reservoir an ungenutzten Talenten.»
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Als Teenager hat Yemi Alade dieses erfolglose Talente-Reservoir kennengelernt. Als «Ginger» tourte sie in der Girlband «Naughty Spices» durch die kleinen Clubs und nahm keinen Rappen ein. Aber dann, 2009, gewann sie die «Peak Talent Show», die bekannteste Castingshow im nigerianischen Fernsehen. Kaum hatte sie 2014 ihr Geografiestudium beendet, kam ihr Hit «Johnny»: Das schwungvolle Musikvideo ging via Youtube um die halbe Welt und erntete 20 Millionen Klicks.
Der Song wurde in ganz Afrika zur Hymne: Er hat Esprit. Alade singt darin von einem Mann namens Johnny, mit dem sie ein Hühnchen zu rupfen hat. Denn dieser Johnny hat nicht nur ihr Ehe, Familie und die ewige Treue versprochen, sondern parallel auch fünf anderen Frauen.
Rollenklischees adé
Das erboste Girly im Baströckchen aus «Johnny» zeigt nur eine Facette von Yemi Alades Weiblichkeit. In ihrem «Birthday Song» singt sie Klartext: «I'm the king. I'm the boss.», in «Rock your body» ist sie die sexy Verführerin, in «Peak» das flippige Mädchen von nebenan. «Ich spiele mit den unterschiedlichen Haltungen, die ich als Frau einnehmen kann. Von meiner Farbpalette nehme ich jeden Tag eine Farbe und lebe sie in meiner Musik aus.»
Mit diesem Verständnis besetzt sie im lange männlich dominierten Musikbusiness in Nigeria ihren Platz – und ist mit Musikerinnen wie Temi DollFace, Omawumi Megbele oder Tiwa Savage in guter Gesellschaft. Trotzdem weiss sie um ihre Vorbildfunktion und nutzt sie: Sie engagiert sich in einer Organisation, die Boko-Haram Opfern hilft und ermutigt mit dem Song «Strong Girl», zusammen mit anderen afrikanischen Musikerinnen, junge Mädchen: «Wenn sie für die Gleichberechtigung und ihr Recht auf Bildung kämpfen, können sie auch die starke Armut in Afrika besiegen.»
Selbstverständnis als Afrikanerin
So ein Empowerment geht über die inhaltliche Leere eines Standard-Popsongs einer Katy Perry weit hinaus. Überhaupt hebt sich Yemi Alade ab vom Mainstream aus den USA. Mit ihrem Image und mit ihrer Musik: «Ich bin keine zweite Beyoncé. Ich bin einzigartig, trage Afrika in mir und deswegen fahre ich unter afrikanischer Flagge.» In ihren Videos trägt sie Kleidung mit afrikanischen Mustern, ihre Texte sind ein Sprachenmix: Alade wechselt von Englisch mit nigerianischem Slang zu Yoruba, der Sprache ihres Vaters und Igbo, der Sprache ihrer Mutter. Ihre Musik ist eine Liaison zwischen R&B, Rap und Afrobeat in der Tradition von Fela Kuti.
Mit dieser Mischung formuliert Alade die Vision eines modernen Afrikas, das den Kolonialismus in die weite Vergangenheit verbannt und sich nicht an den USA und Europa, sondern an sich selbst orientiert. Popstars wie Beyoncé, Katy Perry und Co. sollten sich warm anziehen – die Konkurrenz aus Nigeria steht in den Startlöchern.