Musik gehört in irgendeiner Form bei den meisten Menschen zum alltäglichen Leben. Braucht es da noch einen Tag der Musik?
Stefano Kunz: Gerade deshalb. Musik ist heute selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens und zu einem Konsumgut geworden. Das ist nicht per se schlecht. Aber dass wir Musik zur Verfügung haben, wann immer wir wollen, ist überhaupt nicht selbstverständlich. Aufzuzeigen, wieviel Arbeit, Einsatz und Geld dahinter steckt, ist eines der Ziele des Tags der Musik. Ein zweites Ziel ist es, die Musik aus der passiven Konsumation hin zum aktiven Erleben zu führen: Musik hören, sehen und fühlen – und das in der ganzen Vielfalt, in der es Musik gibt.
Vom passiven Zuhören zum aktiven Musizieren: Das klingt vielversprechend. Wie kann man die musizierende – oder noch nicht musizierende – Privatperson aus dem dunklen Kämmerlein ans Licht zu locken? Die Schweizer Hemmungen sind ja nicht erst seit Mani Matter legendär...
Wenn wir davon sprechen, Musik zu hören, zu sehen und zu fühlen, dann heisst das: Musik bewusst erleben – mit Betonung auf bewusst. Darum geht es in einer ersten Zielsetzung: Die Musik in ihrer ganzen Vielfalt bewusst wahrnehmen. Dazu muss man nicht zwingend Musik selber machen. Was hingegen richtig ist: Oftmals muss man Herrn und Frau Schweizer aus dem Kämmerlein locken. Das tun wir, indem wir uns anders als üblich zeigen: Wir gehen auf die Strasse mit der Musik. Tag der Musik oder Fête de la musique, wie dieser Tag in frankophonen Gebieten genannt wird, heisst: In der ganzen Stadt, im ganzen Dorf wird Musik gemacht.
In Bern zum Beispiel finden den ganzen Tag über an verschiedenen Orten in der Innenstadt Konzerte von klassischen Formationen statt. In Aarau findet ab 18 Uhr ein Flashmob statt – mitmachen kann, wer will. Das Schöne und Einzigartige am Tag der Musik ist, dass der Kreativität praktisch keine Grenzen gesetzt sind. Noch kurz zum aktiven Musizieren: Natürlich findet das auch statt, wie etwa beim erwähnten Flashmob. Aber auch in dem Workshops angeboten werden, offene Singen stattfinden oder Instrumente ausprobiert werden können. Auch hier sind der Vielfalt und Kreativität fast keine Grenzen gesetzt.
Stichwort Veranstaltungen: Wer organisiert die am Tag der Musik? Können auch Einzelpersonen oder Gruppen jenseits von Verbänden oder Schulen aktiv werden?
Der Tag der Musik ist von seiner Idee her eine Basisbewegung und deshalb offen für alle. Aber es hängt ein wenig von der Organisationsform ab, wie einfach oder aufwendig es für Einzelpersonen oder unabhängige Gruppen ist, sich zu beteiligen. Wo der Tag der Musik von der Stadt bzw. der Gemeinde aus organisiert wird, wird einige Zeit im Voraus eine Webseite aufgeschaltet; hier können sich alle, die möchten, für einen Auftritt eintragen. Dort, wo es keine solchen Strukturen gibt, sind es dann oft die Vereine oder Schulen, welche Anlässe zum Tag der Musik organisieren.
Wir vom Musikrat arbeiten auf diesen beiden Schienen, in dem wir einerseits die Städte einladen, am Tag der Musik mitzumachen, und andererseits Gruppen oder Einzelpersonen mit Hilfestellungen unterstützen, die sie auf unserer Webseite herunterladen können. Um dem Gedanken der Basisbewegung noch mehr Rechnung zu tragen, haben wir uns für nächstes Jahr bereits etwas ausgedacht. Aber das bleibt vorderhand noch ein Geheimnis.
Inwiefern hängt der Tag der Musik mit der neuen Förderpolitik des Bundesamtes für Kultur im Bereich der musikalischen Bildung zusammen?
Gar nicht. Vor zwei Jahren durfte der Schweizer Musikrat sein 50-jähriges Bestehen feiern. Aufgrund dieses Jubiläums haben wir uns überlegt, mit welchem Projekt wir das musikalische Leben der Schweiz in seiner ganzen Vielfalt noch mehr und vor allem längerfristig ins Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung tragen könnten. Daraus ist der Nationale Tag der Musik entstanden – inspiriert von vielen Städten in der Romandie und Deutschland, wo der 21. Juni ein fester Bestandteil des Jahreskalenders ist. Das soll in Zukunft auch in der ganzen Schweiz der Fall sein. Darauf arbeiten wir hin.