Er selbst habe noch nie einen Vertrag unterschrieben, den er später bereut habe, sagt Marco Neeser. Obwohl er schon mit Mitte 20, als er bei der Trip-Hop-Formation «Swandive» mitwirkte, erstmals einen Musikervertrag unterschrieb. Da hatte er schon seine ersten Semester Jura-Studium hinter sich. Und weil er schon als Jugendlicher Musik machte, interessierten ihn Fragen des geistigen Eigentums schon länger.
Überforderung durch Juristenjargon
Dieses grosse Interesse für «paramusikalische» Belange, für das Drum-und-dran des Musikgeschäfts, ist nicht allen Musikerinnen und Musikern eigen. «Viele Musiker interessieren sich überhaupt nicht für Vertragliches», sagt Marco Neeser im Gespräch mit SRF 2 Kultur. Manchen sei das Administrative sogar dermassen egal, dass einer fünfköpfigen Band eine juristische Beratung nicht einmal den Extraaufwand von 500 Franken wert sei.
Das kann sich rächen, weil ein Vertrag eine Band unter Umständen längerfristig bindet. Und ohne professionelle Hilfe ist man mit Fachausdrücken wie «compulsory rate», «mechanicals», «controlled compositions» oder – in deutschem Fachjargon – mit «PPD», «Club-Verkäufen» oder «Leistungsschutzrechten» schnell einmal überfordert. Wer einen 70seitigen Vertrag in juristischem «business english» in der Post findet, weiss allein mit Sicherheit nicht weiter. Immerhin: Musikerverträge in der Schweiz und in Deutschland umfassen in der Regel nur fünf bis zwölf Seiten.
Nicht bloss auf die Zahlen schauen
Ein häufiger Fehler von Musikerinnen und Musikern sei, sich in einem Vertragsangebot einseitig an den Zahlen zu orientieren, daran, wie viele Prozente vom – eben – «PPD» («Published Price To Dealer»), vom Abgabepreis an den Handel, sie bekommen. «Es zählt das Gesamtpaket», sagt Marco Neeser. Und vor allem zähle das Atmosphärische: «Wichtig ist, dass sich die Musiker und die Leute von der Plattenfirma kennenlernen und herausfinden, was sie gemeinsam erreichen wollen.»
Neeser kann dem Denken, das die Welt in Gut (die Urheber) und Schlecht (die «geldgierigen» Plattenfirmen) einteilt, nichts abgewinnen. Denn im Grunde geht es beiden Seiten um dasselbe: eine Produktion möglichst erfolgreich auf den Markt zu bringen. Was vielleicht in zwei von zehn Fällen gelinge, merkt der Rechtsanwalt an.
Einen Spielraum für Verhandlungen mit der Plattenfirma sieht Marco Neeser sehr wohl. Die Musiker müssten nicht einfach akzeptieren, was ihnen angeboten werde – trotz der grossen Konkurrenz. Aber natürlich steige die Verhandlungsmacht der Künstler im Erfolgsfall.
Eigenvertrieb als Alternative?
Angesichts der grossen Zahl von Bands und der dauerkrisenbedingt genauer kalkulierten Budgets der Plattenfirmen drängt für viele Musiker ein alternativer Veröffentlichungsweg in den Vordergrund: der Selbstvertrieb von Eigenproduktionen, die ohne die Hilfe einer Firma entstehen.
Ein zweischneidiges Schwert, findet Marco Neeser. Zwar gebe es etliche Beispiele von Künstlern, die es allein geschafft und trotzdem vielleicht später bei einer Grossfirma unterschrieben hätten. Doch die Möglichkeiten, die ein Vertrag mit einer international vernetzten Plattenfirma biete, seien nicht zu unterschätzen. In Sachen Produkteentwicklung, Marketing und PR sowie Vertrieb habe die Musikindustrie das spezialisierte Personal und die geeignete Infrastruktur. Es gilt daher: Wenige Prozente von viel Geld kann deutlich mehr sein als viele Prozente von wenig Geld.