Kein Tag vergeht ohne Nachrichten aus dem Flüchtlingslager im französischen Calais: Letzte Woche etwa versuchten Hunderte Flüchtlinge, eine Strasse zu blockieren, wollten auf die vorbeifahrenden Trucks aufspringen, um nach London zu kommen. Die Polizei setzte Tränengas ein.
Es ist eine von zahlreichen Situationen, die Isolda Heavey hautnah miterlebt hat. Die irische Filmemacherin und Flüchtlingshelferin reist seit einem halben Jahr immer wieder nach Calais und hilft, wo es sie braucht.
Im Januar startete sie das Projekt «Calais Field Music». Dafür nimmt sie musizierende Flüchtlinge auf und stellt die Songs auf die Internetplattform bandcamp.com, da kann man sie für wenig Geld herunterladen – und die Flüchtlinge bekommen alle Einnahmen.
Isolda Heavey, Sie sind seit gestern wieder zuhause in Irland. Wie geht es Ihnen?
Ich bin wütend! Während meines Aufenthalts wurden drei syrische Männer verprügelt, ausgeraubt und dann sich selbst überlassen. Wir denken, es war eine faschistische Gruppierung. Einer hatte einen gebrochenen Kiefer, der anderer tiefe Schnitte im Gesicht und Angst vor einer Hirnblutung. Nach einem Tag im Spital wurden sie entlassen. Sie hatten das Gefühl, das war nicht die Behandlung, die sie bräuchten. Ich und meine Kollegen organisierten einen Anwalt, der mit ihnen erneut ins Spital ging und dafür sorgte, dass sie eine angemessene Pflege bekamen. Das darf nicht so sein!
Wie ist die Lage innerhalb des Flüchtlingslagers?
Das Lager ist unhygienisch: keine adäquaten Duschen und Toiletten, keine adäquaten Einrichtungen für Wasser. Es hat nicht genug zu essen. Abgesehen davon ist das Lager von Calais ein Ort von enormer Wärme und Menschlichkeit. Die Menschen helfen einander. Aber sie leben hier unter schrecklichen Bedingungen.
Hier kommt also die Musik ins Spiel. Welche Kraft hat Musik im Flüchtlingslager?
Ich denke, Musik ist Seelenheil für die Menschen hier. Sie hält den Geist in Gang und verhindert, dass es mit der Psyche bergab geht. Es mag kitschig klingen, aber: Musik ist wie ein Sonnenstrahl. Hinzu kommt: Die Musik ist ein Kommunikationsmittel. Nicht nur zwischen Flüchtlingshelfern und Flüchtlingen, sondern auch für Flüchtlinge untereinander. Unsere afghanischen Freunde haben unsere sudanesischen Freunde getroffen und sie haben gemeinsam gejamt.
Sie haben «Abbas Hallas» aufgenommen und hochgeladen. Worum geht es in diesem Song?
Es geht darum, sich vor der Camp-Polizei zu verstecken, den Tränengas- und Pfefferspray-Einsätzen im Lager zu entkommen. Und es geht auch um das Leben hier und die schlimmen Zustände. Und um den Wunsch, in England zu sein.
Und was hat es mit dem Song «Spicy Eggs» auf sich? Geht es darum tatsächlich um pikante Eier?
Nein. (lacht) Als ich den Flüchtling traf, der dieses Lied singt, bestand er darauf, für uns Frühstück zu machen. Er hat diese pikanten afghanischen Eier für uns gekocht. Erst danach haben wir den Song aufgenommen. Und weil ich einen Scheinnamen brauchte, nannte ich den Song «Spicy Eggs».
Scheinnamen?
Ich will die Identität der Sängerinnen und Sänger schützen, wegen des Dublin- Abkommens. Die britischen Behörden benutzen Gesichtserkennungs-Systeme, um die Menschen zu identifizieren. Wenn sie auf Videos oder Fotos stossen und sehen, dass sie in Calais waren, könnten sie den Aufenthaltsantrag ablehnen.
Was ist das Ziel Ihres Projekts «Calais Field Music»?
In Europa hört man oft, dass Flüchtlinge nicht arbeiten, sondern nur profitieren wollen. Dem will ich entgegenwirken. Ich will den Flüchtlingen ihre Würde zurückgeben, in dem sie etwas verdienen können und ihnen auch zeigen, dass sich Menschen für sie und ihre Kultur interessieren.