Der Sänger Sting wird in einem Jaguar durch die Wüste chauffiert. Er spielt mit einem hochmodernen Camcorder. Vor einem Club steigt er aus und betritt mit dem algerischen Raï-Sänger Cheb Mami die Bühne, um gemeinsam den Song «Desert Rose» zu performen. Für den Musikwissenschaftler Markus Henrik Wyrwich ist dieses Musikvideo starker Tobak: «Diese Bilder kann man sich – anachronistisch gedacht – vielleicht zu Zeiten des Imperialismus vorstellen.» Heute aber demonstrieren sie eine unangebrachte Überlegenheit des Okzidents über den Orient.
Überlegenheit und Stereotypen
Das Musikvideo von Sting ist ein Paradebeispiel für Orientalismus in der Popmusik. Orientalismus ist ein Begriff aus der Kulturwissenschaft und wurde von Edward Said geprägt. Er bedeutet: der Blick des Okzidents auf den Orient. Und dieser ist nicht selten ein Blick voller Klischees: 1001 Nacht, Bauchtänzerinnen, fliegende Teppiche und eben: geprägt von Gesten der Überlegenheit.
Orientalismus in Songs
Markus Henrik Wyrwich hat in seinem Buch «Orientalismus in der Popmusik» zahlreiche Popsongs und Videos aus dem 20. und 21. Jahrhundert untersucht. Besonders hat er sich «Beautiful Liar» von Beyoncé und Shakira gewidmet. Sein Fazit: «Ich habe untersucht, wie die Produktion, die Plattenfirma, der Vertrieb oder die Pressearbeit die Orientalismus-Dimension reflektieren und die Antwort ist: gar nicht.» Das heisst: Der Song mit allem Drum und Dran ist ein einziges grosses Klischee. Es zeigt einen archaischen, zeitlosen Orient, eine Welt voller Spiritualität, Leute, die noch barfuss im Sand unterwegs sind. Und an einer Mauer sind vermeintlich arabische Schriftzeichen abgebildet. Wyrwich hat sie übersetzt und herausgefunden: Es handelt sich nur um Fantasiezeichen.
Aber es gibt auch eine andere Seite des Orientalismus. «Caravan» von Duke Ellington etwa. Die orientalisch angehauchten Klänge sind hier ein Mittel, um die westliche Musik zu erweitern. Ähnlich arbeiten die Beatles mit dem indischen Orientalismus: In ihrem Song «Norwegian Wood» beziehen sie das Saiteninstrument Sitar mit ein und bringen damit einen neuen Klang in die Popmusik, mit dem auch die Rolling Stones und später Oasis arbeiten.
Von Mickey Mouse bis zu den Simpsons
Den Startpunkt des Orientalismus in der Popmusik setzt Markus Henrik Wyrwich ans Ende des 19. Jahrhunderts mit «Streets of Cairo» – einem Song, der sich später durch die halbe Popkultur schleicht: Er taucht in einem «Mickey Mouse»-Trickfilm auf, auch im Videospiel «Lemmings 2 – Egyptian Tribe» oder bei den Simpsons. Mit nur wenigen Tönen schafft der Song, dass die Zuhörenden sofort an den Orient denken. «Wir erlauben uns hier im Westen mit so wenig so viel zu repräsentieren. Und dadurch auch eine imperialistische Geste an den Tag zu legen, eine Repräsentationshoheit zu zeigen», kritisiert Markus Henrik Wyrwich.
In den 1980er-Jahren beginnen auch Popmusikerinnen, sich mit Orientbildern zu beschäftigen. Die US-amerikanische Frauenband Bangles etwa mit dem Song «Walk like an Egyptian» – ein Nummer-1-Hit in den USA, der nach dem 11. September 2001 von hunderten Radiostationen in den USA auf eine Zensurliste gesetzt wurde. «Er wurde doch etwas zu positiv empfunden, waren die Radiostationen überzeugt, sie wollten keine solchen Assoziationen herstellen», erzählt Markus Henrik Wyrwich. Doch zehn Jahre später taucht der Song wieder auf. Nicht in den USA, sondern bei den Demonstrationen im Arabischen Frühling.
«Der Song wurde unter zahlreiche Youtube-Videos mit Bildern zu den Demonstrationen gelegt. Markus Henrik Wyrwich nennt das ‹ein selbstbewusstes Pamphlet› – wir ‹walken› wie richtige Ägypter. Und so erhielt dieser Song dort eine sehr starke Wirkung.» Der Orientalismus in der Popmusik ist also nicht nur binär aufgeteilt, es gibt manchmal auch eine Rückkoppelung.