Nikolaus Harnoncourt – mit vollem Namen übrigens: Johannes Nikolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt – hat sich bereits eingehend mit dem Komponst Jacques Offenbach beschäftigt. Zuerst mit der «Grande Duchesse», dann mit der «Belle Hélène», dazwischen machte er einen Abstecher zu einer Strassensängerin, der «Périchole» – und jetzt knöpft er sich auch noch «Barbe-Bleue», den «Ritter Blaubart», vor.
Dieser ist eigentlich ein übler Geselle, der in seinem Keller ein knappes halbes Dutzend Leichen vergraben hat, seine Ehefrauen, derer er überdrüssig geworden ist. Aber anders als im Märchen des «Barbe-Bleue» von Charles Perrault, wo es überhaupt nichts zu lachen gibt, sind die Frauen von Offenbachs «Blaubart» nicht tot. Im Gegenteil: sie sind putzmunter, und als Boulotte als sechste zu ihnen stösst, blasen sie gemeinsam zum Sturm. Es lebe die Lust, es lebe die Freiheit!
Unverschämt und rotzfrech
Was für eine unverschämte Geschichte. Renitente Frauen, Totgeglaubte erheben ihre Stimme, entsteigen ihren Särgen und fordern Spass und Sex, während Könige und Ritter in der Oberwelt bereits ziemlich vertrottelt und saft- und kraftlos sind.
So etwas vermag nur die Operette. Sie dreht die Welt ganz einfach auf den Kopf und spielt kokett und unverfroren einmal durch, was wäre wenn.
An der Oberfläche wird gesungen, getanzt und gelacht. Darunter aber werden die Machthaber, die feine Gesellschaft, das Militär und die Politik erbarmungslos durch den Kakao gezogen.
Der Chor der Höflinge, die, aufgezogen wie Marionetten, das Bücken üben. Der Haushofmeister misst mit dem Zollstock nach. Dazu eine aufgeblasene, ziemlich hohle Musik, die sich ständig wiederholt.
In Paris sitzt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein kleiner dürrer Cellist, ein aus Deutschland Zugewanderter, Sohn eines Kantors aus Offenbach. Damals hiess er noch Jakob Eberts, in Paris dann nennt er sich Jacques Offenbach.
Er ist es, der dieses rotzfreche Genre erfindet: während in seinen Geschichten die Menschen und das Zeitgeschehen hintergründig-ironisch aufs Korn genommen werden, sind seine Melodien eingängig und seine Tanzrhythmen schwungvoll und voller Energie.
Um-papa und jupi-du
Jeder pfeifft seine Ohrwürmer, die frechen Couplets und besonders den «French Cancan». Der eigentlich ein Tanz des Widerstandes ist und aus der «Temps des cerises» stammt. Ein Tanz, der der Kirche, der Obrigkeit und dem Militär laut und lustvoll entgegen schreit, ihnen die gespreizten Beine zeigt oder auch gerne den blanken Hintern.
Seinen «Ritter Blaubart» schrieb Offenbach im Jahr 1866 und anders als sonst war er kein Strassenfeger. Die Musik ist irritierend, nicht wie sonst. Kein einziger Heuler ist dabei und auch wenig um-papa und jupi-du. Alles ist grösser, anspruchsvoller.
Und die Geschichte? Natürlich verspotten die beiden genialen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy auch hier wieder den Hof, den Kaiser und das Militär. Aber eben auch den Rest der Welt: das Schöne, das Echte, die Liebe und die Ehe. Nicht nur dass «Ritter Blaubart» im Halbstundentakt heiratet, am Ende der «Opéra bouffe» wird gar eine Massenhochzeit veranstaltet.
Leichen im Keller
«Sieben Damen und sieben Herren ... jeder kriegt genau eine, nicht mehr und nicht weniger» – verkündet Boulotte. Und der ganze Hof applaudiert ihr: «Geniale Idee. Wie originell und zugleich moralisch!»
Genau das findet Nikolaus Harnoncourt an diesem Werk «aussergewöhnlich». Der Spott richtet sich nicht speziell gegen eine Gesellschaftsschicht, sondern gegen alle.
«Die Leichen im Keller! Jeder hat welche», sagt Nikolaus Harnoncourt. Blickt mich an und sagt: «Sie auch!». «Sie auch?» frage ich zurück. Er: «Ja klar, aber viel schöner ist doch, auf die Leichen der andern zu zeigen. Und zu sehen, was der Nachbar für ein Schwein ist.»
«Singen Sie mit dem Hinterteil!»
Auch beim Proben ist er für seine starken Worte und seine prägnanten Sprachbilder bekannt. «Die Musik soll stinken» ruft er schon mal ins Orchester. Oder «Singen Sie das bitte mit ihrem Hinterteil.» Fragende Gesichter im Chor. Harnoncourt: «Was?! Haben Sie noch nie mit Ihrem Hinterteil gesungen?» Dann macht er es vor – und es klingt, als sänge er in der Tat mit seinem Hinterteil.
Im «Barbe-Bleue» schreibt Offenbach einen Kusswalzer. Ein umwerfendes Stück Musik, ein Walzer, wo der ganze Chor der Hofschranzen die Lippen spitzen und präzis auf den zweiten und dritten Schlag einen Schmatzer platzieren muss.
Das Stückchen beginnt mit schluchzenden Geigen, die Antwort darauf ist ein trockener Paukenschlag, der klingen muss, so Harnoncourt, «wie der Kuss eines Nilpferdes.»