Es war ein Liederabend der ganz besonderen Art, als Christian Gerhaher im Duo mit Gerold Huber 2013 im Opernhaus Zürich den Liederzyklus «Lunea» uraufführte. Aus Klavierklängen und kurzen Notaten des Dichters, die Heinz Holliger für seine «23 Sätze von Nikolaus Lenau» ausgewählt hatte, entfaltete sich ein intimes Drama.
Weitab von den gereimten Versen des Romantikers hatte Holliger die existenziellen Fragen freigelegt, die Lenau umgetrieben haben. Im Ausnahmesänger Christian Gerhaher hatte er einen kongenialen Interpreten gefunden.
Gedankenblitze mit Echoraum
Schon der Liederzyklus stellt höchste Anforderungen an Sänger und Pianisten. Heinz Holliger schenkt den Musikern nichts, führt sie an ihre Grenzen. Die orchestrierte Fassung von «Lunea» wurde zur Tour de Force für Ensembles wie die junge «Lucerne Festival Academy».
Das Ensemble hat das Stück 2017 mit dem Bariton Ivan Ludlow unter Holligers Leitung aufgeführt. Damals brütete der Komponist auch bereits über der Partitur eines Musiktheaters für das Opernhaus Zürich.
Denn jedes Lied, jeder dieser «Gedankenblitze» Lenaus, so Heinz Holliger, «bricht unvermittelt ab, hat aber einen riesigen Nachhall. In diesen Echoraum konnte dann das hineinwachsen, was jetzt vielleicht eine Art Oper geworden ist».
Der Hörspielautor und Filmer Händl Klaus hat in seinem Libretto die 23 vokalen Miniaturen in ein Drama aus Zitaten und Wortfetzen integriert. Briefstellen Lenaus, Verse aus Gedichten und kurze Notizen hat der Autor zu einem szenischen Reigen montiert, als Grundlage für die kompositorische Arbeit Holligers.
Inspiration Schicksalsschlag
Dieses Libretto – und damit auch die Oper – erzählt die Geschichte nicht als lineare Handlung. Es reiht die Szenen in traumartiger Sequenz aneinander.
Ausgangspunkt ist ein Ereignis in der Biografie von Nikolaus Lenau, das tragische Folgen hatte. Im November 1844 ereilte ihn in Stuttgart ein Hirnschlag, der ihn zusehends seine Schaffenskraft und seine intellektuellen Fähigkeiten kostete. Nach Jahren in Irrenanstalten starb Lenau umnachtet am 22. August 1850 in Oberdöbling bei Wien.
Den Hirnschlag fühlte Lenau wie einen «Riss durch mein Gesicht». Dieser Riss geht auch durch das Geschehen in Heinz Holligers «Lunea». Die Zeit, sagt der Komponist, krieche in seiner Musik unendlich langsam vorwärts und rase zugleich blitzschnell zurück, zu Momenten aus Lenaus Leben – wie in einem Traum, der aus dem Dunkel heraufsteigt und auch keine lineare oder rationale Abfolge kenne.
Regisseur Andreas Homoki und das Team am Opernhaus Zürich müssen diese Herausforderung meistern. Der Übergang von einer Szene zur nächsten muss möglichst fliessend und unmerklich geschehen.
Das Personal in diesem Traumgeflecht aus 23 Bildern entspricht der Konstellation einer Oper. Fünf Figuren tragen das Geschehen: Lenau, seine Schwester, sein Schwager, dazu seine grosse Liebe Sophie und die beiden Bräute, die von der gleichen Sopranistin dargestellt werden.
Hochkarätige Besetzung
Mit Juliane Banse, die schon 1999 als «Schneewittchen» eine Holliger-Oper aus der Taufe hob, dazu Sarah Maria Sun und Annette Schönmüller als international bekannte Interpretinnen für Neue Musik ist dem Opernhaus eine vielversprechende Starbesetzung gelungen.
Dass Christian Gerhaher die Titelrolle übernehmen würde, war für Heinz Holliger Bedingung, das Opernprojekt überhaupt anzugehen. Mit Ivan Ludlow ist ein weiterer erfahrener Holliger-Interpret für die Zürcher Uraufführung besetzt.
Anspruchsvoll, um nicht zu sagen grenzwertig, sind nicht nur Holligers Ansprüche an die Solistinnen und Solisten, sondern auch an den Chor. Ein zwölfstimmiges Ensemble, das manchmal als reale Figuren auf der Bühne erscheint, dann wieder nur als innere Stimmen des Dichters agiert.
Eine Herausforderung, der sich die Basler Madrigalisten stellen. Auch sie haben ein halbes Jahr vor der Premiere begonnen, sich auf die Premiere am 4. März vorzubereiten.