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Neuer Blick auf die Insel «Haiti ist für mich ein Wachtraum»

Mélissa Laveaux ist in die Heimat ihrer Eltern gereist: nach Haiti. Die Kanadierin war überrascht über die Aufbruchstimmung in diesem Land.

«Überall stiess ich auf Kunstwerke und innovative Ideen», erklärt die kräftig gebaute, kanadische Musikerin mit haitianischen Wurzeln und streicht über ihre Rastazöpfe. In dem von Naturkrisen gebeutelten Land lernt Mélissa Laveaux Leute kennen, die mit einfachsten Mitteln tolle Kreationen zustande bringen.

Haiti im Aufwind

Diese Atmosphäre überträgt sich auf Laveaux: Sie durchforstet Tonarchive, Bibliotheken, tauscht sich mit Musikern aus und beschäftigt sich mit traditionellen haitianischen Liedern. In einem Kulturzentrum von Port-au-Prince erhält sie Zugang zu Aufnahmen und Notizbüchern mit alten Folksongs, die sich in der verworrenen Geschichte des Landes immer wieder neu erfinden.

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Legende: Mélissa Laveaux' neues Album heisst «Radyo Siwèl». Mélissa Laveaux

«Überall wurde ich mit offenen Armen empfangen», erklärt die Künstlerin. «Man gab mir Tüten voller CDs, alter Platten und unzählige Bücher.» Im Fokus ihres neuen Werkes «Radyo Siwèl» liegen Stücke, die im Widerstand gegen die Besetzung der Insel durch die USA zwischen 1915 und 1934 gesungen wurden.

Das Land lässt sie nicht mehr los

Mélissa Laveaux wurde 1985 in Montreal als Kind haitianischer Eltern geboren. Sie waren als Studenten vor dem Regime von Diktator François Duvalier dorthin geflohen.

Die Musikerin wächst in der kanadischen Bundeshauptstadt Ottawa auf. Doch ihre Eltern erziehen sie wie ein «haitianisches Kind», wie sie erzählt.

Als Laveaux zum ersten Mal im Alter von 12 Jahren mit ihren Eltern nach Haiti reist, sieht sie ein krankes Land mit einer grossen Kluft zwischen arm und reich. Die Erinnerungen an diesen Aufenthalt vermischen sich mit Erzählungen, die Mélissa Laveaux von ihrer Grossmutter und ihrer Tante über diese Insel hört – und lassen sie nicht mehr los.

Songs in kreolischer Sprache

«Haiti ist für mich ein Wachtraum», sagt die Künstlerin. «Diese Insel ist immer in meinen Gedanken und nimmt grossen Raum in meinem Leben ein.» Sie ist überrascht, wie eng sie mit diesem Land verbunden ist, ohne jemals dort gelebt zu haben. Deshalb muss sie unbedingt dorthin.

Als sie dabei ist, die Klänge von Haiti einzufangen, hat sie den Gesang der legendären Schriftstellerin, Komponistin, Sängerin und Bürgerrechtlerin Martha Jean-Claude im Ohr – ein wichtiges Vorbild für sie. Jean-Claude ist die erste haitianisch-kreolische Stimme, die sie als Kind hörte. Durch sie hat Mélissa angefangen, selbst Songs in kreolischer Sprache zu singen.

Auch die politische Haltung von Martha Jean-Claude schärft Laveaux’ Bewusstsein für die Herkunft ihrer Vorfahren. Jean-Claude wurde 1952 nach Veröffentlichung eines Theaterstücks verhaftet und musste nach einem Gefängnisaufenthalt ihre Heimat Haiti verlassen. Danach lebte sie 34 Jahre im kubanischen Exil. Dort sang sie Lieder über ihre Heimat.

Die «haitianische Revolution»

Mélissa Laveaux hat sich eingehend mit der einzigartigen Geschichte Haitis beschäftigt: Es ist eine Geschichte von Flucht, Einwanderung und Ankommen. Die karibische Insel war ab 1697 eine französische Kolonie, erlangte 1804 aber seine Unabhängigkeit. Seine eine Existenz verdankt Haiti der einzig erfolgreichen Sklavenrevolution der Weltgeschichte – der «haitianischen Revolution».

Die 33-Jährige hat Aktivisten, Soziologen und Philosophen entdeckt, die sie darin bestärken, noch mehr über Haiti zu erfahren. Und eines ist ihrer Meinung nach sicher: Die junge Generation ist dabei, das Land zu verändern und es mit Zuversicht wieder neu aufzubauen.

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