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mit Andreas Reize, Dirigent
Aus Blick in die Feuilletons vom 22.12.2020. Bild: Remo Buess
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Neuer Thomaskantor Dieser Schweizer beerbt Johann Sebastian Bach

Es war eine ziemliche Sensation, seit wenigen Tagen ist sie amtlich: Mit Andreas Reize wurde erstmals ein Schweizer zum Thomaskantor in Leipzig berufen – und erstmals ein Katholik. Der Dirigent und Chorleiter wird damit zum 18. Nachfolger des grossen Johann Sebastian Bach. Andreas Reize über das Faszinosum Knabenchor und die Vorfreude auf den neuen Arbeitsort.

Andreas Reize

Andreas Reize

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Andreas Reize studierte Kirchenmusik, Orgel, Klavier, Cembalo, Chor- und Orchesterleitung. Heute ist er Leiter der Barockoper auf dem Schloss Waldegg. Seit vielen Jahren ist er ausserdem Chef des ältesten und hoch gelobten Knabenchores der Schweiz, den Singknaben der St. Ursenkathedrale Solothurn. Und: Ab September 2021 wird Andreas Reize neuer Thomaskantor des Thomanerchors in Leipzig.

SRF: Das Votum am Freitag fiel einstimmig zu Ihren Gunsten. Was war Ihr erster Gedanke, als Ihre Wahl zum Thomaskantor besiegelt war?

Andreas Reize: Nominiert war ich schon seit drei Wochen. Aber seit der Reformation hat der Stadtrat von Leipzig, mit dem Bach sich einige Streitigkeiten geliefert hat, das letzte Wort.

Mich hat vor allem gefreut, dass ich sämtliche Parteien von ganz rechts bis links ins Boot holen konnte. Es geht ja darum, verschiedene Meinungen in die Thomaskirche zu bringen und alle Leute für die Musik begeistern zu können.

Thomanerchor Leipzig

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Legende: imago images / Sebastian Willnow

Den Thomanerchor in Leipzig gibt es seit mehr als 800 Jahren. Er gilt als einer der ältesten und renommiertesten Knabenchöre weltweit.

Die Bekanntheit des Thomanerchors als einer der ältesten Chöre überhaupt beruht auch auf dem Thomaskantorat, das durch viele bekannte Komponisten ausgefüllt wurde, darunter Johann Sebastian Bach. Er leitete den Chor 27 Jahre lang.

Sie sind ja nicht nur als der erste Thomaskantor aus der Schweiz, sondern auch der erste Katholik, der den protestantischen Thomanerchor leitet. Warum hat das keine Rolle gespielt?

Es geht um christliche Musik: Das ist die Musik, die uns verbindet. Der Ursprung des Christentums liegt im Judentum.

Jesus war ein Jude und die Psalmen sind die Grundlage sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche. Diese Schranken, die Sie ansprechen, werden zum Teil von Menschen gebaut, aber eigentlich sind sie nicht da.

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Musikjournalist Claus Fischer schätzt ein: Ein Schweizer als Thomaskantor, eine Sensation?
aus Kultur-Aktualität vom 26.11.2020. Bild: Andreas Reize
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Die Konfession des Thomaskantors spielt also keine Rolle?

Das steht so auch in der Ausschreibung. Weil ein politisches Gremium den Thomaskantor bestätigt, dürfen Minderheiten oder Andersgläubige nicht ausgeschlossen werden.

Das Pflichtenheft eines Thomaskantors hat sich in den letzten Jahrhunderten verändert. Sie müssen keine Passionen und Oratorien mehr komponieren wie einst Bach. Inwiefern unterscheidet sich Ihr neues Amt von dem eines ganz gewöhnlichen Knabenchor-Leiters?

Für mich ist die Pädagogik die zentrale Aufgabe in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Man stelle sich mal vor, die jüngsten Knaben sind 9-jährig und der älteste bei uns in Solothurn ist 23 Jahre alt. Alle singen zusammen.

Suchen Sie mal eine Fussballmannschaft, in der 9-Jährige mit 23-Jährigen zusammenspielen. Das gibt es nicht. Ein Knabenchor ist einzigartig.

viele junge Knaben in Uniform, die singen
Legende: Eigentlich singt der Thomanerchor jedes Jahr an Weihnachten in der Leipziger Thomaskirche – ausser dieses Jahr, wegen Corona. imago images / epd

Was macht für Sie dieses Faszinosum der reinen Knabenstimmen aus? Mädchenstimmen tönen doch nicht anders.

Keine Frage: Mädchen können genauso gut singen wie Knaben. Das hängt nur von der Stimmbildung und von den Möglichkeiten ab, die man den Mädchen gibt. Aber es gibt nach wie vor eine Diskrepanz in der Gleichberechtigung zwischen Knaben- und Mädchenchören.

Eine reine Jungengruppe in sich, wie sie bei einem Knabenchor besteht, ist etwas ganz Eigenes. Wir haben auch schon Projekte mit Mädchenchören zusammen gemacht, da haben sich die Jungs wie Gockel verhalten.

In Leipzig erwartet Sie ab September 2021 ein Fulltime-Job. Freuen Sie und Ihre Familie sich auf die Stadt?

Leipzig vereint den Groove einer Grossstadt mit dem einer Kleinstadt. Und das kulturelle Leben ist natürlich gigantisch – in der Oper oder in den Kirchen. Wir freuen uns, aber für uns als Familie wird das auch eine Herausforderung.

Das Gespräch führte Patricia Moreno.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Blick in die Feuilletons, 22.12.2020, 08:06 Uhr;

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