Puccini schaffte es, den Orchesterpart so zu komponieren, dass von der ersten Sekunde kein Entrinnen möglich ist. Ohne Wenn und Aber hört man gleich zu Beginn mit harten Blech- und Streicherklängen die Köpfe rollen, die von der männerhassenden Turandot gefordert werden. Der farbige, attraktive, immer wieder fernöstlich anmutende Orchesterklang erreicht übers Ohr schnurstracks den ganzen Körper und breitet sich aus wie eine Welle.
Die berühmteste Arie der Welt
Dazu kommt Puccinis Flair für Arienhits. «Nessun dorma» ist weltbekannt – diese geschmeidige Legato-Tonreihe, die das Gefühl eines endlosen Horizonts vermittelt. Der Nachteil ist, dass dies klebrig wirken kann.Die Arie, einmal gehört, nistet sich ins Ohr ein wie ein lästiger Wurm. Und verdeckt damit die Tatsache, dass eine andere Arie eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: «Tu che di gel sei cinta», die Schlussarie der Sklavin Liù, der heimlichen Heldin in dieser Oper, wahrscheinlich auch Puccinis liebste Figur.
«Nessun dorma» verblasst
Zu schade, lässt er sie sterben. Aber bevor Liù sich ersticht, erklärt sie Turandot, warum sie sich so selbstlos opfert – dies tut sie mit einer solch liebevollen Intensität, mit einer Hingabe, dass «Nessun dorma», gesungen vom selbstverliebten Calaf, daneben verblasst.
Liùs Arie mündet in den schmerzhaften Ausruf ihres Herrn: «Ah! Tu sei morta!» Der Kloss im Hals ist an dieser Stelle garantiert.
Es lebe die Sklavin Liù!
Ist es der Komponist selbst, der da über den Tod seiner geliebten Liù verzweifelt? Oder fühlte der todkranke Puccini gar sein eigenes Ende nahen? Wie dem auch sei: Bei der Uraufführung liess der legendäre Arturo Toscanini die Oper nach Liùs Tod enden. Recht hatte er, denn Puccini scheiterte letztendlich an diesem Schluss, weil er der hochneurotischen Turandot und dem eitlen Calaf nicht zutraute, echtes Glück zu finden. Es lebe Liù und ihre unvergessliche Arie!