Rosalía betritt eine düstere Altbauwohnung. Schwarz gekleidet, reisst sie die Vorhänge auf – Licht flutet den Raum. Plötzlich tanzen dutzende Geigenbögen des London Symphony Orchestra durch ihr Wohnzimmer.
Der barocke Streichersatz erinnert an Vivaldis «Winter», gespielt eng gedrängt – wie im Club. Ein Chor setzt auf Deutsch ein: «Seine Angst ist meine Angst. Seine Wut ist meine Wut. Seine Liebe ist meine Liebe. Sein Blut ist mein Blut.»
Mit «Berghain» veröffentlicht Rosalía die erste Single ihres neuen Albums «Lux» – und überrascht: deutscher Songtext, orchestrale Klangwelten, Features mit Björk und Yves Tumor sowie ein symbolgeladenes Musikvideo von Nicolás Méndez.
Transformation und Transzendenz
Text und Bildsprache des Videos sind durchzogen von religiösen Symbolen: eine Maria-Figur auf der Kommode, ein Rosenkranz an den Stilettos, ein Herz-Jesu an der Wand, ein goldenes Amulett. Rosalía kniet vor der Badewanne, stets allein und doch begleitet vom Orchester – am Bügelbrett, im Bus, im Spitalbett.
Sie singt: «Die Flamme dringt in mein Gehirn ein wie ein Blei-Teddybär. Ich bewahre viele Dinge in meinem Herzen auf, deshalb ist mein Herz so schwer.»
Auf Spanisch führt sie fort: «Ich weiss sehr gut, wer ich bin: Zärtlichkeit für den Kaffee. Ich bin nur ein Stückchen Zucker. Ich weiss, dass mich die Wärme schmelzen lässt. Ich weiss, wie man verschwindet. Wenn du kommst, ist der Moment, in dem ich gehe.» Für wen sie sich aufgibt, mit wem sie Liebe, Wut, Angst und Blut teilt, bleibt offen.
Wiedergeburt als Schneewittchen
Björk eröffnet das Finale des Songs und spricht das Göttliche direkt an: «This is divine intervention. The only way to save us, is through divine intervention.» Im Video erscheint sie nicht in persona, sondern als Rotkehlchen. In der Altbauwohnung wartet sie auf Rosalía.
Eine Eule, ein Fuchs, eine Gans und ein Wolf gesellen sich dazu. Rosalía verwandelt sich ebenfalls – als Schneewittchen steht sie für Unschuld und Wiedergeburt.
Die Stimme des US-amerikanischen Sängers und Produzenten Yves Tumors tritt aus dem Orchester hervor und wiederholt provokant: «I'll fuck you 'til you love me.» Nach einem Fiebertraum mit wirren Bildern erwacht Rosalía als Taube. Regisseur Nicolás Méndez inszeniert «Berghain» als visuelles Gesamtkunstwerk, das mit Licht und Schatten spielt und zwischen Realität und Trance pendelt.
Wieviel Berghain steckt drin?
Der berühmte Berliner Techno-Club wird nicht gezeigt im Video, doch seine Essenz ist spürbar: als Pilgerstätte für Tanzende, die Transzendenz und Transformation suchen – und dabei sicher auch Angst, Wut und Liebe finden.
Auch Björk zählt sich zu den Suchenden und sagte in einem Interview: «Wir müssen unser Recht zu tanzen verteidigen. Ich werde zu Techno raven bis ich 90 bin.»
Eine Verbindung zum Berghain liegt mit dem deutschen Text auf der Hand. Und dass Rosalía vielleicht einen Bezug zu dieser Sprache hat, durch eine mögliche Beziehung mit dem deutschen Schauspieler Emilio Sakraya, wird spekuliert. Die beiden wurden mehrmals auf Dates zusammen gesehen.
Offiziell bestätigt ist das aber nicht und bleibt somit Gerüchteküche. Was klar ist: Emotionen in verschiedenen Sprachen auszudrücken, ist ein zentrales Thema des neuen Album «Lux» von Rosalía.