Franz Schubert ist nur 31 Jahre alt geworden, hat aber in seinem kurzen Leben über 600 Lieder geschrieben. Mit diesem Output wäre er der perfekte Künstler für das Streaming-Zeitalter gewesen, finden der Singer-Songwriter Gisbert zu Knyphausen und der Pianist und Komponist Kai Schumacher.
Für ihr Album «Lass irre Hunde heulen» haben sie darum Lieder von Schubert neu vertont. Das habe mit Werktreue zu tun, sagt Schumacher. Ihn stört, dass Schuberts Lieder heute oft in der artifiziellen, sterilen Aura klassischer Konzertsäle vor grossem Publikum aufgeführt werden.
«Das waren Lieder für den privaten Gebrauch. Schubert hat sie in irgendwelchen Hinterzimmern von Gasthöfen mit Freunden gesungen. Da ging es ums Zusammensein und um Unmittelbarkeit», sagt Schumacher.
Affig oder schön
Als Partner in Crime kommt für Schumacher nur Singer-Songwriter Gisbert zu Knyphausen in Frage. «Weil er diesen romantischen Geist in seinen eigenen Liedern hat. Auch die Melancholie und die ständige Suche nach dem, was wir Sinn des Lebens nennen.»
Doch zu Knyphausen zögert, als Schumachers Anfrage kommt. Denn er hat wenig Berührung mit Schuberts Musik: «Ich hatte Zweifel, ob ich das glaubwürdig rüberbringen kann. Diese alte Dichtsprache und vor allem diese Art des Gesanges. Ich dachte: Mal sehen, ob das affig wird oder total schön.»
Schubert reloaded
Schumacher und zu Knyphausen wählen 10 Lieder aus. Daraus gestalten sie sphärisch heulende und heiter ironisierende Neuvertonungen. Bei manchen Liedern ändern sie nicht viel: Die Tonlage variiert allenfalls ein bisschen und sie reduzieren die Intros.
Anderen Stücken haben sie ein gänzlich neues Kleid verpasst, etwa «Nähe des Geliebten». Schumacher vereinfacht die Notationsweise, gestaltet Leadsheets mit den Texten und Akkorden darüber.
«Ich konnte so mit meinen wenigen Notenkenntnissen wie an ein Lagerfeuerbuch herangehen», sagt zu Knyphausen. «Und auf einmal wurde das dann so ein Gute-Laune-Buena-Vista-Social-Club-Song mit typischer Gisbert-Gitarrenbegleitung und einem kleinen kubanischen Motiv.»
Oft arbeiten die beiden mit Bildern im Arrangement. Beim Lied « Doppelgänger » etwa habe man die Assoziation, wie jemand leicht angetrunken an der Laterne vor dem Haus seiner ehemaligen Geliebten lehnt und vor sich hin brüllt, so Schumacher. Der Schmutz einer E-Gitarre passe gut zu diesem Bild. «Und auch Klangwelten, wie man sie von Nick Cave & The Bad Seeds kennt, so düsterer Songwriter-Pop».
Alte Sprache in neuem Gewand
Wenn Gisbert zu Knyphausen «Doppelgänger» singt, klingt das, als würde er sich mit Schubert den eigenen Schmerz von der Seele schreien. Obwohl diese Text 200 Jahre alt sind und bisweilen auch etwas angestaubt – etwa der Ausdruck «Fein Liebchen». So würde heute keiner mehr sprechen und Gisbert zu Knyphausen auch nie texten.
Ursprünglich wollte der Singer-Songwriter die Texte umdichten. «Aber je öfter ich sie gesungen habe, umso schöner fand ich sie. Selbst wenn da so seltsame Worte dabei sind.» Seine Zuhörerschaft sei sicher im ersten Moment irritiert, denn man müsse sich die Schönheit dieser Schubert-Lieder erst erarbeiten, so zu Knyphausen.
Der Komponist als Pop-Ikone
Für Kai Schumacher ist Franz Schubert der Prototyp des heutigen Popmusikers. «Er wollte unabhängig sein von Obrigkeiten und nur mit seinen Kompositionen als Künstler wahrgenommen werden. Das ist auch das Prinzip des freischaffenden Künstlers heutzutage.»
Schuberts Themen seien universell, sagt der Pianist: «Liebe, Tod, Vergänglichkeit und die Suche nach sich selbst sind nach wie vor Themen, die präsent sind in der Musik. Egal ob im Kunstlied oder in der Popmusik.»