Mit 28 Jahren starten viele erst durch – er aber hat die erste Karriere schon hinter sich: Der Pianist Herbie Hancock ist 28, als er die Band von Miles Davis verlässt.
Mit dem Jahrhunderttrompeter Miles Davis als Bandleader ist Hancock bereits im Jazz-Olymp angelangt. Er hat sich mit den zehn Alben, die er für Miles aufgenommen hat, bereits tief in die Musikgeschichte eingeschrieben.
Was jetzt ansteht, ist der Sprung in die nächste Karriere: Die eigene.
Elektrisierende Experimente
Eine Herkules-Aufgabe? Nicht für Herbie Hancock. Schliesslich hat er während seiner Zeit mit Miles schon eigene Musik aufgenommen.
Mit einer umwerfenden Neugierde und völlig angstfrei geht er an alles heran, womit sich irgendwie Musik machen lässt. Und da kommen die Synthesizer gerade recht, diese neuartigen Klangerzeuger der 70er-Jahre.
Hancock umarmt sie richtiggehend. Den frühen Synthesizer-Pionier Patrick Gleeson holt er sogar in seine Band, obwohl dieser streng genommen gar kein Musiker ist. Doch er ist der Mann, der Hancock am schnellsten zeigen kann, was man alles herausholen kann aus einem «Mini-Moog» oder einem «Arp Odysse».
Finanzielles Fiasko
Seine Lehr- und Wanderjahre mit Synthesizern in einer Band absolviert Herbie Hancock mit seiner ersten eigenen Touring-Band «Mwandishi».
Strapaziöse Touren durch Europa, Unmengen an Material, das jeden Abend auf- und wieder abgebaut werden muss, komplizierte Musik, kaum Schlaf: Das «Mwandishi»-Abenteuer ist musikalisch top, unternehmerisch aber ein Flop.
Hancock finanziert das Fiasko weitgehend aus den Tantiemen eines einzigen Songs, den er früher schon aufgenommen hat: «Watermelon Man».
Ein Rettungsring
«Watermelon Man», dieser frühe Song von Hancocks Debutalbum «Takin’ Off», wird so zum Rettungsring für Hancock und seine «Mwandishi»-Band. Und mehr als das: Als Hancock sich entschliesst, die Band aufzulösen und seine Musik zu vereinfachen, tanzbarer zu machen, ist es wiederum der «Watermelon Man», der Hancock den Weg weist.
Hancock nimmt die Komposition, zerdehnt sie wie einen Kaugummi und setzt einen unwiderstehlichen Funk-Groove darunter. Dazu die Synthesizer-Zutaten, die er sich bei «Mwandishi» angeeignet hat, etwas Clavinet, viel Fender Rhodes, eine Linie mit dem «Arp» – und fertig ist das Meisterwerk.
Genres sprengen
«Head Hunters» nennt Hancock seine neue Band und auch das erste Album. Ein Album, mit dem er gleich Platin-Status erspielt – das hat es im Jazz bisher noch nie gegeben.
Hancock, der Jazz-Pianist von Miles Davis, wird damit quasi über Nacht zum Rockstar und erreicht ein gänzlich neues Publikum. Die «Head Hunters» sind der Durchbruch für Herbie Hancock als Solo-Künstler.
Vom Jazz-Pianisten zum Synthie-Star
Kein Wunder, dass seine Neugierde auf alle neuen Gadgets ab da nicht mehr nachlässt. Zum einen kann er sich die damals noch aussergewöhnlich teuren Geräte jetzt leisten.
Zum anderen hat er neben der Karriere als akustischer Pianist jetzt plötzlich noch ein zweites Standbein als Synthesizer-Mann. Beide Karrieren verfolgt er ab da mehr oder weniger parallel.
Schockwellen an alle Puristen
Dass er damit alle puritanischen Jazz-Fans vergrault, kümmert ihn wenig. Im Gegenteil: Das nächste Album, mit dem er an den Erfolg der Head Hunters anknüpfen kann, nennt er 1983 «Future Shock».
Hancock weiss also genau, was er bei manchen seiner Fans auslöst mit seiner immer wieder neuen Musik: einen Schock. Aber auch hier gibt ihm der Erfolg Recht.
Die Nummer «Rockit» gewinnt mehrere MTV Video Music Awards und den Grammy für die beste R’n’B Performance. Und Hancock begeistert einmal mehr ein völlig neues junges Publikum für seine Musik: Die Hip-Hop-Szene.
5 aus 500: Ein «Best Of» der Jazz Collection
Die Sendung über den elektronischen Herbie Hancock ist die 500. Jazz Collection auf SRF 2 Kultur: Sie hat vor 13 Jahren das Licht der Welt erblickt und ist so vielfältig wie die Musik, die sie verhandelt.
So wie der Jazz seit seinen Anfängen immer wieder neue Einflüsse und Farben vergnügt in einen Topf wirft und vermischt, so tauchen auch in der Jazz Collection ständig Überraschungen auf. Zum Jubiläum gibt es eine Auswahl fünf aussergewöhnlicher Episoden der vergangenen 500 Sendungen:
Episode 5 (2005): Bill Evans
Der Pianist Hans Feigenwinter erfährt in der Jazz Collection, dass ein berühmtes Stück von Bill Evans quasi versehentlich entstanden ist, als eine improvisierte Einleitung zu einer anderen berühmten Komposition.
Eine Erkenntnis, die ihn umhaut.
Von solchen Momenten lebt das damals noch junge Format bis heute.
Episode 37 (2005): Dizzy Gillespie
Für den Trompeter Thomas Gansch war das erste Konzerterlebnis mit Dizzy Gillespie zweierlei.
Einerseits war es ein Mittel gegen heftige Bauchschmerzen – aber auch eine Erleuchtung.
Eine Erleuchtung als Jazz-Collection-Gast ist aber auch er: Wienerisch frech, präzise – und jederzeit bereit, die verschiedenen Trompeten-Phrasierungen singend vorzuzeigen
Episode 62 (2006): Joe Pass
Auch der Schweizer Jazzgitarrist und -komponist Roberto Bossard ist ein besonders gern gehörter Gast in der Anfangszeit der Jazz Collection.
Kein Wunder: Roberto Bossard kann nicht nur über seine Helden reden. Er kann auch auf dem Instrument zeigen, was Sache ist. Zum Beispiel, wenn er vorspielt, wie die Solo-Gitarre im Stil des US-amerikanischen Jazz-Gitarristen Joe Pass klingt.
Episode 434 (2015): Jazz-Covers von Björk-Songs
Chris Wiesendanger ist einer der vielseitigsten Experten in der Jazz Collection. Was der Jazzmusiker (Piano, Keyboards, Komposition) nicht aus dem Stand weiss, erarbeitet er sich minutiös und frei von Berührungsängsten.
Hier zeigt sich einmal mehr die musikalische Offenheit der Sendung. Von Singer-Songwritern und Cantautori über Blues-Cracks und Soul-Brothers bis zu Künstlern wie Lou Reed oder eben Björk ist heute in der Jazz Collection fast alles möglich.
Episode 459 (2016): Rosa Passos
Eine weitere Klangfarbe wird immer wichtiger auf SRF 2 Kultur: die Farbe der Weltmusik.
Zart und gleichzeitig scharfsinnig analysiert die brasilianische Sängerin und Gitarristin Simone Santos ihre Landsfrau: die brillante Sängerin und Gitarristin Rosa Passos. Ihre Klänge stehen für ein ganzes Universum an Musik, das es in der Jazz Collection noch zu entdecken gilt.