Sie rappen über ein Amerika am Abgrund und rechnen mit Donald Trump ab: Die US-Rapszene mischt im Politjahr 2020 an vorderster Front mit. Hip-Hop sei ein wichtiges Sprachrohr der afroamerikanischen Bevölkerung, sagt der Musikjournalist Davey D. Cook. Das werde sich auch nicht ändern.
SRF: Im Umfeld der US-Wahlen war und ist der amerikanische Hip-Hop extrem produktiv. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie sich aktuelle Songs anhören?
Davey D. Cook: : Ich nehme mal zwei Beispiele abseits des Mainstreams. Die Rapperin Mystic hat mit ihrem Song « We Are The People » kurz vor den Wahlen eine Art Abrechnung mit Donald Trump veröffentlicht. Agallah, M1 und Hakim Green reflektieren die Nachwehen der Wahlen in einem Song, der auch « We The People » heisst.
In beiden Songs geht es darum, dass es noch viel Arbeit bleibt, um ein besseres Land aufzubauen. Und dass viele Probleme der afroamerikanischen Bevölkerung trotz Trumps Abgang ungelöst sind.
Wie haben sich Rapperinnen und Rapper konkret in dieses politische Jahr 2020 eingebracht?
Einige waren sehr erfolgreich darin, die Gefühle der Bevölkerung aufzugreifen und für die schwarze Community zu sprechen.
Diese wichtige Funktion wurde letzten März deutlich, als die 26-jährige Afroamerikanerin Breonna Taylor von der Polizei erschossen wurde – nachts, als sie in ihrer Wohnung schlief. Sie war unschuldig.
Aber keiner der Polizisten wurde angeklagt, und der Fall wurde lange ignoriert. Es waren Rapperinnen und Rapper, die darauf aufmerksam gemacht haben – durch Songs wie « Say Her Name » von Master P. oder « I need you to (Breonna Taylor) » von Tobe Nwigwe.
Chuck D. von Public Enemy hat einmal gesagt, Hip-Hop sei das «CNN des schwarzen Amerika». Trifft das in Zeiten von Social Media noch zu?
In den Anfängen von Hip-Hop gab es kein Internet. Wenige Leute mit viel Macht haben kontrolliert, wer ins Radio oder ins Fernsehen kommt. Wenn es mal ein Rapper oder eine Rapperin schaffte, stand er oder sie unter Druck, etwas im Namen der schwarzen Bevölkerung zu sagen.
Und das taten Public Enemy mit « Fight The Power ». Heute haben die Künstler durch Social Media einen direkten Draht, sowohl zu ihrem Publikum als auch zu den Menschen an der Macht.
Ein Beispiel dafür ist die Rapperin Cardi B. Sie hat 80 Millionen Follower auf Instagram und ist in der demokratischen Partei gut vernetzt.
Cardi B. hat mit «WAP» einen nicht jugendfreien Song gemacht, in dem es um nasse nackte Hintern und diverse Sexualpraktiken geht. Das Musikvideo hat 300 Millionen Klicks auf YouTube.
Aber das ist nur die Oberfläche. Über diesen Song hat Cardi B. Follower angelockt und ihre Rolle als Influencerin klug genutzt: Sie hat aktivistischen Underground-Organisationen ihre Plattform gegeben, sich mit Bernie Sanders getroffen und ihre Fans über Social Media politisiert. Sie hat also ihr Publikum nicht etwa in den Stripclub geschickt, sondern ins Wahllokal.
Cardi B. steht mit dieser Strategie in der Tradition von Harry Belafonte. Er hat mal gesagt: «Erst musst du es schaffen, dass jeder deine Lieder singt, dann kannst du politisch aktiv werden.»
Auf ihrem neuen Album haben Public Enemy «Fight The Power» von 1989 neu geremixt. Funktioniert der Song heute noch?
Ja, absolut. Die Themen sind seit den Anfängen von Public Enemy die gleichen: Rassismus, Polizeigewalt und Armut. Diese Themen werden weiterhin wichtig sein.
Der einzige Unterschied ist, dass wir jetzt wissen, welche Bedrohung es ist, wenn eine autoritäre Figur an die Macht kommt. Das sollte eine Warnung sein. Hip-Hop kann sich nicht schlafen legen.
Das Gespräch führte Theresa Beyer.