Kaum einer wusste besser Bescheid über die Freuden und Sorgen der amerikanischen Teenager als Chuck Berry. In den Songs des Rock’n’Roll-Urvaters spiegelt sich alles, was wichtig war – und ganz zentral war das Auto.
Es war das Hilfsmittel zur Unabhängigkeit von den Eltern und einer der wenigen Orte für ungestörte Liebesabenteuer. Schon im ersten Berry-Hit «Maybellene» wird der Flirt zwischen einer Frau und einem Mann als Rennen zwischen einem Cadillac (sie) und einem Ford (er) ausgetragen, und so fuhr Chuck Berry immer weiter in seinen Songs.
In «Nadine», einem seiner letzten Erfolge, steht er im Bus, während die Angebetete in einem kaffeefarbenen Cadillac davonfährt, unerreichbar wie das Auto, das es in dieser Farbe gar nicht gab.
Eine mystische Erscheinung auf vier Rädern
Cadillacs gab es nur in zwei ernst zu nehmenden Farben: schwarz für die Gangster, pink für die Liebhaber. Spätestens seit Elvis Presley von seinen ersten Tantiemen seiner Mutter ein rosaroten Cadillac kaufte, wurde dieses Modell zur fast schon mystischen Erscheinung, die immer wieder besungen wurde.
Einer von den Interpreten, der sich dieser Bedeutung bewusst war, war Bruce Springsteen, der in den 80er-Jahren eine weitere Hymne auf den «Pink Cadillac», die Liebe und den Rock’n’Roll schrieb.
Auf der Flucht
Überhaupt waren und sind Autos bei Springsteen wichtig, ähnlich wie bei Chuck Berry und doch ganz anders. Bei Springsteen geht es nicht so sehr um die poetische Betrachtung des Teenagerlebens. Springsteen hat vielmehr die Angewohnheit, aus der Sicht seiner Protagonisten die USA und das eigene Alter zu vermessen.
In Dutzenden seiner Lieder fahren seine Figuren mit dem Auto durch das riesige Land – auf der Flucht oder auf der Suche. Bono Vox, der Sänger von «U2» kommentierte treffend: «Viele schreiben über das, was auf dem Rücksitz des Autos geschieht. Springsteen aber beschreibt, was nach dem Liebesakt passiert».
Das liebste Spielzeug
Springsteens kommerziell erfolgreichste Zeit war in den 80er-Jahren, einer Zeit, in der auch mit einem musikalischen Derwisch aus Minneapolis konkurrenzierte: Prince, ein Musiker, der in seinen Songs am liebsten die Liebe, besser die Erotik besang.
1983 schrieb er ein Stück über des Amerikaners liebstes Spielzeug, so als habe Prince beschlossen, als Fingerübung einen Chuck-Berry-Text zu schreiben. In dem Song «Little Red Corvette» sieht der Protagonist seiner Angebeten zu, wie sie seitwärts einparkt, und ihm wird klar: Ihre Liebe kann keine Zukunft haben.
England kann da nicht mithalten
Cadillac, Chevrolet, Corvette – exotisch klingende Namen, die zum Rock’n’Roll passten. Was konnte man in England, dem anderen grossen Popland, da entgegensetzen?
Keith Richards von den «Rolling Stones» brachte es auf den Punkt: «Was wollte man der Wirkung der USA entgegenhalten? Wie sah unser Morris Minor denn neben einem Cadillac aus? Irgendwie verlegen.»
In der Tat kann man sich schwer vorstellen, über dieses Automodell ein Lied zu schreiben. Und so blieben die USA das verführerische Traumland der endlosen Highways und der Strassenkreuzer, über die gesungen wird.