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Zwei Musiker mit Akkordeon undGitarre.
Legende: Die Platte von Otto Rindlisbacher (rechts) war der erste Fund von Musikethnologe Jim Leary. Mills Music Library, University of Wisconsin-Madison

Schweizer Auswanderer Als in Wisconsin noch gejodelt wurde

Ferdinand Ingold suchte in den USA ein neues Leben, wollte aber die Musik der Heimat nicht zurücklassen. Der Traum einer Plattenfirma scheiterte. Ein Ethnologe kam dem vergessenen Werk auf die Spur.

Viel ist nicht bekannt über Ferdinand Ingold. Nur so viel, dass er 1860 in Bischofszell im Kanton Thurgau zur Welt kam. Im Alter von 32 Jahren zog er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern von Bern in die USA.

Die Ingolds siedelten sich in Green County in Wisconsin an – dem «Little Switzerland» in Amerika. Hier hatten Einwanderer aus dem Kanton Glarus «New Glarus» gegründet.

Ein Archivbild: Personen in einem alten Auto mit Schweizer Flaggen
Legende: Ferdinand Ingold mit seiner Familie an der «Cheese Days Parade» 1915 in Monroe. Archeophone Records

Ferdinand Ingold unterhielt in der Kleinstadt Monroe einen Laden, in dem er unter anderem auch erste Schallplatten aus der alten Heimat verkaufte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte Ingold die Idee für ein eigenes Plattenlabel. Eines, mit dem er seine Heimatverbundenheit und seine Kunden gleichermassen zufrieden stellen konnte: «Helvetia Records» war geboren.

Vergessen, verstreut, neu verteilt

Der Musikethnologe James Leary stiess zum ersten Mal vor etwa 30 Jahren auf eine 78er-Schellackplatte von Helvetia Records. In einem Plattenladen fand er eine Aufnahme von Otto Rindlisbacher, dem Sohn Schweizer Einwanderer.

Learys Neugier war geweckt: Von da an suchte er nach weiteren Scheiben des Labels. Im Musikarchiv der University of Wisconsin in Madison, an der er lehrt, fand James Leary über die Jahre zehn weitere Platten. Die Idee, eine Gesamtschau des Labels zu kreieren, nahm Form an.

«Man kann eine Mischung aus Jodlern hören, vor allem von Charles Schönenberger. Es gibt auch Akkordeon- und Geigenduette, rein männliche und gemischte Quartetts und daneben noch eine Art Operetten-Jodler.»

Hörbeispiele von «Alpine Dreaming»

Von Schweizern für Schweizer

Helvetia Records existierte gerade einmal vier Jahre, von 1920 bis 1924. Alle Aufnahmen wurden in den USA eingespielt, meist in New York City, wo es seinerzeit zahlreiche Studios gab.

Zielgruppe waren vor allem die Schweizer in Amerika, die in New Jersey, Ohio und Wisconsin lebten. Ingold platzierte aber auch gezielt Werbung in amerikanisch-schweizerischen Zeitungen, die an der Westküste gelesen wurden.

Eine Zeitungswerbung von 1916
Legende: Die Werbung von Helvetia Records im «Amerikanischen Schweizer Kalender» von 1916. Max Kade Institute for German American Studies

«Alpine Dreaming» stellt nun zum ersten Mal den Gesamtkatalog von Helvetia Records vor. 36 Lieder konnte James Leary für dieses Album finden: «Wir hatten Glück, dass die Besitzer von Archeophone Records ein gutes Netzwerk zu Sammlern haben.»

Ein Albumcover mit Bergen und einer Schweizer Flagge
Legende: Stellt zum ersten Mal den Gesamtkatalog von Helvetia Records: «Alpine Dreaming». Archephone Records

Dank diesen Kontakten hätte das Team noch einige der Platten gefunden, die nicht im Archiv waren. «Mitarbeiter vom Label sind mit einem Plattenspieler und Computer zu Sammlern nach Tennessee und Wisconsin gefahren, um dort einzelne Lieder zu digitalisieren.»

«Alpine Dreaming»

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Am 31. August 2018 erscheint auf Archeophone Records «Alpine Dreaming: The Helvetia Records Story, 1920-1924».

Knackpunkt Dialekt

Begleitet wird die Doppel-CD von einem umfangreichen und reich bebilderten Booklet, in dem die Geschichte des Labels und der einzelnen Musiker erzählt wird. Für den Musikethnologen James Leary, der schon zahlreiche Bücher und Musikprojekte zur Geschichte der Einwanderer im Mittleren Westen veröffentlicht hat, war «Alpine Dreaming» eine Herausforderung.

Ein Mann mit einer CD
Legende: Der emeritierte Professor Jim Leary ist immer auf der Suche nach neuen Musikschätzen aus der Vergangenheit. Jeff Miller/University of Wisconsin

Die Sprache sei nicht leicht gewesen, lacht er. «Zum einen sind die Aufnahmen alt – sie sind gesungen und nicht gesprochen. Zum anderen sind diese verschiedenen Schweizer Dialekte keine geschriebene Sprache.»

Auch wenn Helvetia Records nur vier Jahre existierte und 1924 im Konkurs endete, ist diese Episode und die neue Veröffentlichung ein wichtiges und bislang übersehenes Klangdokument in der langen Geschichte der Schweizer Einwanderung in den USA.

Sendung: Kultur Aktualität, SRF 2 Kultur, 05.09.2018, 17.20 Uhr

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