«Oper ist queer», schreibt Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper in Berlin, im Grusswort. Mit «queer» meint er: schräg, anders, seltsam, auf jeden Fall nicht in die Norm passend. Wie Eugen Onegin, wie Salome, wie der fliegende Holländer oder Norma. Wie eigentlich alle Opernfiguren.
Denn ehrlich: Wer will in der Oper schon «Stinos» – den sticknormalen und also heterosexuellen Menschen – zuschauen, wie sie heiraten, Kinder kriegen und Häuschen bauen? Das wäre doch viel zu langweilig.
Endlich gehören sie dazu
Oper lebt vom Ausscheren aus der Norm. Kein Wunder gibt es viele schwule Opernliebhaber – wie etwa Rainer Falk und Sven Limbeck, zwei Germanisten, passionierte Operngänger und Herausgeber des ersten schwulen Opernführers «Casta Diva».
Falk und Limbeck gehen rund 70 Mal im Jahr in die Oper. Schwule lieben die Oper, sagen die beiden, weil sie sich mit glücklosem Leben, unerfüllter Liebe und Sterben in Schönheit – was Opernfiguren in der Regel so antreibt – in einem hohen Mass identifizieren können.
Sobald sich der Vorhang öffnet und sie diese Anderswelt betreten, wo sie sozusagen unter Ihresgleichen sind, gehören sie endlich einmal dazu.
Ein schwuler Opernführer für alle
Sven Limbeck und Rainer Falk und mit ihnen über 30 Autorinnen und Autoren haben die Operngeschichte, die Werke, die Libretti sowie die Figuren unter die Lupe genommen – und sie auf offen Schwules, latent Homoerotisches, auf schwule Codes und Motive abgesucht.
Ganz offensichtlich ist es demnach bei Claudio Monteverdi, der in seiner Oper «L’Incoronazione di Poppea» eines der schönsten schwulen Duette geschrieben hat.
Zwei Männer, Nerone und sein Diener Lucano, besingen zwar die Schönheit einer Frau, verstricken sich aber dabei selber immer mehr in einen Liebesakt. Der Diener turnt den Kaiser an, bis dieser auf dem Höhepunkt nur mehr «a-hi» und «a-hi destino» singt ... und schreit.
Die Liebe einer Frau bringt den Tod
Etwas verklausulierter ist die Geschichte des fliegenden Holländers, der jahrelang mit seinem Schiff auf dem Meer herumtrieb und – in Ermangelung von Frauen – wohl Sex mit seinen Matrosen und Piraten hatte.
Senta, das brave Mädchen, will er nur heiraten, damit er endlich von diesem Fluch erlöst wird, ewig leben zu müssen. Die «Liebe» einer Frau bringt ihm also mit Sicherheit den Tod, nach dem er sich sehnt. Limbeck und Falk lesen das als Geschichte einer unterdrückten Homosexualität.
Erhellende Lesart
Auch Tristan und Isolde gehen in den Tod. Davor aber schlafen sie miteinander, und in diesem Liebesakt, in der Verschmelzung wechseln die Liebenden das Geschlecht. Isolde singt zu Tristan: «Du Isolde / Tristan ich / nicht mehr Isolde». Und Tristan darauf: «Du Tristan / Isolde ich / nicht mehr Tristan».
Dank der schwulen Brille wird dieser Text verständlich – und erscheint in neuem Licht. Überhaupt ist es erhellend, die heterosexuelle Komfortzone zu verlassen und die alten Geschichten und die vertrauten Figuren, Carmen, Lucia, Orfeo, Siegfried, Faust und Pelléas, einmal etwas anders zu sehen. Queerer eben.