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Covid-19 fordert Opfer unter den Jazz-Grössen
Aus Echo der Zeit vom 07.06.2020. Bild: Reuters
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Todesfälle unter Jazzgrössen Warum Corona für Jazzmusiker so gefährlich ist

Ellis Marsalis, Wallace Roney, Lee Konitz: Eine ganze Reihe von Jazzpionieren ist in den USA an Covid-19 gestorben. Das hat viel mit den Lebensbedingungen der Musiker zu tun.

Eine regelrechte Serie von Covid-19-Todesfällen trifft den Jazz in den USA. Grössen wie der Pianist Ellis Marsalis, der Trompeter Wallace Roney und der Saxofonist Lee Konitz sind nur ein paar Namen einer langen Liste.

Jazz ist einer der am stärksten von Covid-19 betroffenen Musikstile in den USA. Und das ist kein Zufall.

Viele Jazzmusiker sind schon nur deswegen bedroht, weil sie in New York leben, einem der Hotspots des Virus, oder im Süden der USA, wo das soziale Gesundheitssystem ungenügend ist.

Leben von Gage zu Gage

Die hohe Zahl der Todesopfer gründet auch in deren Alltag. Jazzmusiker leben häufig am Existenzminimum. Sie haben eine ungenügende Gesundheitsvorsorge und oft keine finanziellen Rücklagen. Jazzmusiker müssen ihr Leben bis ins hohe Alter von Konzertgage zu Konzertgage finanzieren.

Das ist einer der Gründe, warum Musiker auch als Senioren noch auf der Bühne stehen müssen. Aber sie können es auch. Denn es gibt ein Publikum, das sie hören möchte. Jazz ist ein Musikstil, der die Alten als Legenden und Mentoren ehrt.

Ein eigentlich schöner Aspekt. Er ist aber mitverantwortlich dafür, dass sich viele dieser Musiker bis kurz vor dem Lockdown exponiert haben. Auf kleinen Bühnen, nah am Publikum, mit oft tödlichen Folgen.

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Corona-Hotspot New York
Aus Reporter vom 03.05.2020.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 23 Minuten 46 Sekunden.

Eine Generation von Pionieren bricht weg

Betroffen sind vor allem ältere Herren über 80. Sie haben den Jazz in den 30er-, 40er- und 50er-Jahren miterfunden, damals war Jazz eine Jugendbewegung.

Es ist also eine Generation der Innovatoren, die hier wegbricht. Ohne Jazz und Blues gäbe es keinen R'n'B, Soul, Hip-Hop – unsere globale Musikkultur würde anders klingen. Finanziell hatten diese Musiker aber in der grossen Mehrheit nichts von ihrer kreativen Leistung.

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Der Fackelträger: Wallace Roney
aus Jazz Collection vom 26.05.2020. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Vom Jazz werden sowieso die wenigsten reich – der Musikstil ist eine Nische mit einem verhältnismässig kleinen Publikum. Ausserdem ist es generell schwierig, improvisierte Musik zu vergüten. In Geld auszudrücken, wie prägend etwa der Schlagzeuger für eine legendäre Platte wie «Kind Of Blue» von Miles Davis war, ist ein schwieriges Unterfangen.

Folge der fehlenden Würdigung

Sicher für die Armut der Musiker mitverantwortlich ist die ungerecht aufgestellte Musikindustrie in der Blütezeit des Jazz, die fehlenden Gewerkschaften und die Diskriminierung von afroamerikanischen Musikern.

Diese strukturelle Benachteiligung zieht sich bis heute weiter und zeigt sich auch ideell. Die USA pflegen einen eher geringschätzigen Umgang mit dem eigenen Erbe. Jazz ist eine Kunstform, die so nur in den USA hat entstehen können. Als Reaktion auf Sklaverei und Unterdrückung ist der Musikstil damals entstanden – ein Gegenentwurf, der für Freiheit und Befreiung stand.

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So fern – so nah
aus Jazz und World aktuell vom 21.04.2020. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Dass Musiker, die für die US-amerikanische Kultur so Wichtiges geleistet haben, bis heute nicht finanziell gewürdigt und besser abgesichert sind, spiegelt sich besonders brutal in der aktuellen Covid-19-Krise.

«Eine einzigartige amerikanische Kunstform wird durch einzigartige amerikanische Inkompetenz vernichtet», kommentierte treffend die Washington Post.

Radio SRF 4 News, Echo der Zeit, 7. Juni 2020, 18 Uhr

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