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Ukrainer Yuriy Mynenko Auf der Zürcher Opernbühne statt an der Kriegsfront

Der ukrainische Star-Kontertenor Yuriy Mynenko spielt im Opernhaus Zürich den Schreckensherrscher «Eliogabalo». Hier helfe er der Ukraine mehr als im Militär, sagt er.

Am 4. Dezember feierte das Stück «Eliogabalo» am Opernhaus Zürich Premiere. In der Hauptrolle: der ukrainische Kontertenor Yuriy Mynenko.

Der Opernsänger ist nur dank einer Sonderbewilligung in der Schweiz, vom ukrainischen Kulturminister persönlich ausgestellt.

Die grössere Hilfe

Ohne die Bewilligung wäre er jetzt nicht hier und müsste sich stattdessen in der Ukraine für den Militärdienst bereithalten. Seine Frau und Tochter durften mit ihm nach Zürich reisen, sein Sohn aber musste in Odessa bleiben.

blonder Mann an Gitterwand, verzweifelt die Hände am Gitter, dahinter vier fröhliche Menschen.
Legende: Yuriy Mynenko (vorne) lebt in zwei Welten: Er spielt auf der Zürcher Bühne, während sein Sohn im Kriegsgebiet geblieben ist. Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus

«Für mich ist das ein grosser Konflikt», sagt Yuriy Mynenko. Aber man müsse sich überlegen, wie man am besten etwas beitragen könne. Er sei Sänger, kein Soldat: «Ich habe überhaupt keine Erfahrung in der Armee, ich kann dort nicht helfen.» Stattdessen arbeitet er weiter und spendet Geld.

Ein Tyrann mit guten Seiten

Während Putin sein Land angreift, spielt Yuriy Mynenko in der Oper einen Schreckensherrscher, den römischen Kaiser Eliogabalo. Dekadenz und sexuelle Ausschweifungen zeichneten die historische Vorlage aus.

Eliogabalo kam am 16. Mai 218 an die Macht, mit gerade einmal 14 Jahren. Nur vier Jahre später wurde er von den eigenen Leuten ermordet.

Ein Coup für das Opernhaus: Kurzkritik von «Eliogabalo»

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Dieser Kaiser fasziniert und stösst zugleich ab. Der venezianische Komponist Francesco Cavalli hat mit der frühen Barockoper «Eliogabalo» ein faszinierendes Bild des spätrömischen Herrschers Eliogabalus gezeichnet.

Damals, 1668, ging es ihm um Kritik am verfeindeten päpstlichen Rom. Heute sehen wir in diesem Eliogabalo gegenwärtige Politiker gezeichnet – gar nicht so weitab von der Realität.

Die Titelfigur der Barockoper beruft etwa ein Frauenparlament ein. Fortschrittlich? Nein, die Frauen werden mit Wodka begossen und zu Sexspielchen gezwungen. Selbst vor Mord schreckt Eliogabalo nicht zurück, um seinen enormen sexuellen Appetit zu stillen.

Berührend in Blut und Scherben

Seine Umgebung – Frauen wie Männer – sind ihm halb verfallen, halb abgestossen von dieser brutal-kühnen Figur. Der deftige Stoff ist gerade richtig für Regisseur Calixto Beito.

Er findet eindringliche Bilder, zeigt Verletzlichkeit an der Schmerzgrenze und fordert von den Beteiligten ein intensives Spiel ein. Das geben sie. Alle.

Auf der Bühne ein gleichwertig starkes Ensemble, angeführt vom ukrainischen Countertenor Yuriy Mynenko mit seiner unglaublich beweglichen, starken Stimme. Im Orchestergraben das Barockorchester La Scintilla, geleitet von Dmitry Sinkovsky.

Das Faszinierende: Auch im Leisen, wenn die Sehnsucht nach Liebe durchbricht, ist diese Produktion intensiv. In berührenden Liebesarien, umgeben von Blut und Scherben. Ein Coup für das Opernhaus Zürich.

Benjamin Herzog

In der Opernfigur Eliogabalo sieht Yuriy Mynenko trotz allem auch Gutes. Eliogabalo sei nicht nur ein Wahnsinniger mit viel Macht. «Er erforscht neue Emotionen und will die Liebe erfahren, und ändert dafür auch seine sexuelle Identität.»

Vielstimmig mit heiklem Finale

Die frühbarocke Oper des Komponisten Francesco Cavalli passt überraschend gut in die heutige Zeit. Der venezianische Komponist schrieb sie 1667 für den Karneval. Aufgeführt sah er sie nie: Zu heikel war den damaligen Machthabern insbesondere die Ermordung des Eliogabalos am Schluss.

Für über 300 Jahre verschwand das Manuskript, bis es in den 1990er-Jahren wiederentdeckt und zur Eröffnung des Teatro San Domenico in Crema uraufgeführt wurde.

Die Oper ist musikalisch nicht die einfachste. So braucht es gleich mehrere Kontertenöre, also männliche Stimmen, die in der obersten Stimmlage singen können.

sechs Leute sitzen auf Stühlen in einer Reihe auf der Bühne, ein Man im Wrack steht.
Legende: Politischer Grössenwahn und Lust-Exzesse zeichnen die Zeit des jungen Kaisers aus. Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus

Aufenthalt auf Zeit

Mit Yuriy Mynenko konnte das Opernhaus Zürich einen der international gefragtesten Kontertenöre engagieren. Dessen Zukunft nach seinem Aufenthalt in Zürich ist noch ungewiss. Er selbst sagt: «Wenn das Projekt vorbei ist, möchte ich zurück in die Ukraine. Ich hoffe, das klappt.»  

Doch noch bis zur Dernière am 7. Januar verkörpert er in Zürich den Eliogabalo, mit lustvollem Schauspiel und eindrücklicher Stimme.

Hinweis

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Barockoper «Eliogabalo» von Francesco Cavalli: Aufführungen bis am 7. Januar im Opernhaus Zürich .

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 05.12.2022, 8:06 Uhr

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