Wenn man D’Angelos Musik zum ersten Mal hört, ist man unter Umständen irritiert: Wo ist hier der Leadgesang? Was gehört zur Strophe und was zum Refrain? Und warum hinkt der Rhythmus?
Wenn man die Songs aber mehrmals hört, beginnt man sie zu verstehen und spürt den Sog dieser Musik. Sie ist beseelt, wie Gospel- und Soulmusik. Und sie groovt abartig, wie Hip-Hop. Zwei Hauptmerkmale, welche den sogenannten «Neo-Souls» ausmachen, den D'Angelo massgeblich entwickelt hat.
Nicht einfach zum Mitsingen
Doch was genau ist so speziell? Einerseits ist es der mehrstimmige Gesang, den D'Angelo – meist in der Falsettstimme – schichtweise eingesungen hat und der sich über einen ganzen Song hinwegzieht. Eine klare Hauptmelodie gibt es oft nicht, oder sie wird von den anderen verwischt. Doch dafür entstehen immer wieder überraschende und vielfarbige Klangcollagen.
Zum anderen ist es die unkonventionelle Rhythmik. Sie wirkt wie ein Gummiband und auf Anhieb könnte man meinen, es sei rhythmisch unpräzise. Die Vocals setzen unterschiedlich ein, der Bassist spielt zu spät und der Schlagzeuger phrasiert auch was Eigenes. Doch dieses scheinbare Aneinander-Vobeispielen ist gewollt und entwickelt auf Dauer eine unwiderstehliche rhythmische Spannung.
Musik in den Adern
Michael Eugene Archer, wie D'Angelo richtig heisst, kommt 1974 in der US-amerikanischen Stadt Richmond (Virginia) zur Welt. Sein Vater ist Pfarrer und der junge D'Angelo wächst darum mit Gospelmusik auf.
Sein aussergewöhnliches Talent stellt D'Angelo an der berühmt-berüchtigten «Amateur Night Competition» im Apollo Theater in Harlem unter Beweis, wo er ab 1991 mehrfach gewinnt.
Debütalbum als Ausgangspunkt für mehr
Mit dem Preisgeld kauft sich D'Angelo ein 4-Spur Tonbandgerät und beginnt damit sein Album «Brown Sugar» zu produzieren, das 1995 herauskommt. Doch es ist erst ein Grundstein.
Obschon er seine Musik im Alleingang umsetzten könnte – D'Angelo spielt zwischenzeitlich auch hervorragend Gitarre, Bass und Schlagzeug – gehört er zum Kern des Kollektivs Soulquarians, in dem unter anderem auch Schlagzeuger Questlove, Sängerin Erykah Badu oder der Produzent J Dilla mitwirken.
Mit ihnen feilt D'Angelo lange an einem völlig eigenständigen Sound, der sich im Jahr 2000 schliesslich mit seinem Album «Voodoo» manifestiert.
Durchbruch und Abtaucher
Obwohl «Voodoo» wirkt wie ein Underground-Album, ist das internationale Echo enorm: D'Angelo heimst zwei Grammys ein, und seine Anerkennung in der Musikszene ist riesig.
Doch der Erfolg macht ihm zu schaffen. Die Fans und die Musikbranche drängen auf Liveauftritte und weitere Musik. Zudem wird ihm wegen seines Videos zu «Untitled (How Does It Feel)» das ungewollte Image eines Sexsymbols verpasst.
Dann das überraschende Comeback: D'Angelo veröffentlich 2014 sein drittes Album «Black Messiah», mit dem er erneut neue Massstäbe setzt. Die Musik ist dunkler und rockiger geworden. Und er performt die kraftvollen neuen Songs eine Zeit lang auch live – doch nicht lange.
Es wurde wieder still um den öffentlichkeitsscheuen Ausnahmemusiker D'Angelo – der sich immer auch den sozialen Medien gegenüber verschlossen hat.
Die plötzliche Nachricht seines frühen Todes hat die Musikwelt und seine Fans dementsprechend tief erschüttert.