Zum Inhalt springen

Verstorbener Komponist Harrison Birtwistles Musik war nichts für schwache Nerven

Harrison Birtwistle ist gestern im Alter von 87 Jahren gestorben. Seine Musik war brutal, grotesk, experimentell. Dass sie nicht jedem gefiel, war dem Komponisten egal.

Der Komponist Benjamin Britten hatte Harrison Birtwistle am Aldeburgh Festival 1968 noch mit warmen Worten empfohlen: «Birtwistle hat mehr zu sagen als die meisten seiner jungen Zeitgenossen. Ich bin sicher, er wird etwas Auffälliges und Provokantes, aber dennoch Ernsthaftes und Aufrichtiges hervorbringen.» Doch bei der Uraufführung von Birtwistles erster Oper «Punch and Judy» verliess Britten den Saal.

Die Geschichte ist nichts für schwache Nerven: Ein Mann im Hanswurst-Kostüm wirft sein Baby ins Feuer, erdolcht seine Freundin und zersägt den Conférencier. Die Musik dazu ist brutal, frech, grotesk, sarkastisch.

Eine archaisch-radikale Musik ohne richtige Vorbilder. Mit der klassisch-romantischen Tradition und ihren sinfonischen und konzertanten Werken wollte Birtwistle ohnehin nichts zu tun haben, viel mehr hat ihn das unvorsehbare, scheinbar planlos-organische Wuchern in der Musik interessiert.

Kompromisslos eigensinnig

«Komponieren ist Zusehen, wie Dinge in dramatische Gegenüberstellung gebracht werden können, in einer Landschaft der Intuition», sagte er einst.

Birtwistle war berühmt, vielleicht sogar berüchtigt, für seine experimentelle Musik, die für die Hörerinnen und Hörer manchmal herausfordernd war.

Fernab von Etiketten

Birtwistle kam vom Land. Er ist 1934 in Accrington, einer Kleinstadt in der nordenglischen Provinz, geboren und hatte mit Komponieren erst einmal nichts im Sinn. Jahrelang arbeitete er als Klarinettist, nach und nach aber wollte er Eigenes schaffen.

Dabei hat er auf Etikette und Äusserlichkeiten nie Wert gelegt. In seinem Erscheinungsbild nicht und in seiner Musik auch nicht: Wenn die Leute damit nichts anfangen konnten, meinte er, es sei im egal: «I don’t care. It’s not my problem.»

In seinen späteren Jahren war Birtwistles Musik nicht mehr so aggressiv, aber milde ist sie nie geworden. Vielfältiger allerdings schon.

Denn bis zuletzt ging es ihm darum, sein Tonmaterial in neue Stimmungen zu führen, in anderen Farben zu zeigen. Denn eigentlich war Birtwistle vor allem eines: ein grandioser Geschichtenerzähler.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 19.04.2022, 07:06 Uhr

Meistgelesene Artikel