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Kräftige Farben: gelb, orange. Tannhäuser in der Sängerhalle.
Legende: «Tannhäuser»: Sängerhalle, Bühnenbildentwurf von Karl Moos (1924/1925), Zürcher Stadttheater, 1925. zVg / Kunsthaus Zürich

Wagner im Ring Wer – oder was – sind eigentlich Wagnerianer?

Die ganz grossen Wagner-Anhänger, die so genannten Wagnerianer, gelten als ein besonders Völkchen. Schwelgen sie in Heldenpathos und im 19. Jahrhundert? Ein Blick in die eingeweihten Kreise im Wagnerjahr 2013.

Wer sind die Wagnerianer? Sie sind überzeugt, dass ihrem Meister und seinem Werk Wertschätzung und Liebe bis hin zu göttlicher Verehrung gebührt. «Die sektiererischen Wagnerianer sterben aber aus», ist Armin Trösch, Ehrenpräsident der schweizerischen Richard-Wagner-Gesellschaft, überzeugt. «Und auch unsere Wagner-Gesellschaft ist überaltert».

Wagnerianer: Wo sind sie?

Sind Wagnerianer also alles ältere Semester? Wir haben uns auf die Suche nach Wagnerianer-Nachwuchs in der Schweiz gemacht. Ein schwieriges Unterfangen. Schliesslich sind wir auf Giacomo Paravicini gestossen. 23 Jahre jung und Spitzenfechter. Er trainiert mit Wagners Heldenpathos im Ohr auf die Olympischen Spiele 2016. Mit 15 Jahren von seiner Mutter, einer grossen Wagnerianerin, durch das Computerspiel «Ring der Nibelungen» zum «Meister» verführt, hat es ihm das Heldische bei Wagner besonders angetan.

Im Bauch eines hölzernen Schiffes: Isolde in rotem Kleid.
Legende: «Tristan und Isolde»: Verdeck eines Schiffes; Bühnenbild von Jörg Zimmermann, Opernhaus Zürich, 1980. zVg / Kunsthaus Zürich

«Siegfried sein, das wärs. Weil er der Unerschrockene ist, weil er strotzt vor Selbstvertrauen. Das kann man im Leben und im Fechtsport gut gebrauchen». Auch Wagner begeisterte sich fürs Fechten.

Aber bei ihm ging es wie immer ums Ganze. Er hatte bald sechs Duelle auf Leben und Tod am Hals, denen er nur mit viel Glück entkam, weil seine Gegner zufällig verhindert waren oder vorher starben. 

Der ausdauerndste Wagnerianer

Ebenfalls im zarten Jünglingsalter wurde Kunsthistoriker Christian Bührle vom Wagner-Virus infiziert. Als er in verregneten Schulferien aus Langeweile «Tannhäuser» hörte, hat es ihn gepackt. Das ist 40 Jahre her: «Wagner kann einen schon in einen Rauschzustand versetzen.» Aber Achtung: «Wenn es mir nicht gut geht, dann würde ich nicht zu Wagner greifen». Der Kunsthistoriker Bührle hat zehn Jahre seines Berufslebens seiner Doktorarbeit über Zürcher Wagner-Aufführungen in 150 Jahren gewidmet.

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Monatelang suchte er akribisch in Archiven und Sammlungen nach Spuren von Wagner-Neuinszenierungen in Zürich. Bührle zeigt seine Funde an grossartigen Zeichnungen, Aquarellen, Szenenfotos und Bühnenmodellen jetzt erstmals in der Ausstellung «Walküren über Zürich» im Kunsthaus. Sie beweist: Jahrzehntelang beherrschte Wagner den Zürcher Spielplan. Zürich war einst eine wichtige Wagnerstadt.

Der leidenschaftlichste Wagnerianer

Seine Begeisterung schlägt alle Rekorde: Seit 60 Jahren ist Antiquar Armin Trösch ein glühender Verehrer des Komponistengenies. Sein Antiquariat an der Zürcher Rämistrasse ist vollgestopft mit Büchern, Musik-Noten und Büsten von vielen Künstlern. Aber Wagner ist ihm der liebste, ist ihm Schicksal: «Es ist eine karmische Angelegenheit. Man ist dafür disponiert. Es öffnet sich eine ganze Welt, in der man sich selber wieder findet.»

Monumentale Landschaft mit Nebel und Wolken, der Sänger mit wallendem Mantel.
Legende: «Das Rheingold»: Freie Gegend auf Bergeshöhen, Bühnenbild von Roman Clemens. Zürich, Stadttheater, 1937. zVg / Kunsthaus Zürich

Wagners Musik berührt Tröschs Verstand und sein Gefühl: «Die Musik bereitet mir solches Entzücken, vergleichbar höchstens mit einem Orgasmus.» Entsprechend ist der Höhepunkt für Wagnerianer die alljährliche Reise nach Bayreuth, zum geheiligten Festspielhaus. Armin Trösch war schon über 30 Mal da.

«Es ist wie eine Pilgerreise. Wie der Jakobsweg». Die Wartezeit für Eintrittskarten beträgt acht Jahre, aber das hält keinen echten «Gläubigen» ab. Man habe, so Wagnerjünger Trösch, das Gefühl, als ob dort noch der Geist von Wagner hause. «Mir kamen jedes Mal die Tränen, wenn ich wieder nach Hause musste.»

Wagner als Überlebenshilfe

Dabei hat Armin Trösch daheim einen eigenen Wagner-Schrein: Es wimmelt von Wagner-Statuen in allen Grössen und Materialien, von Bildern und Dokumenten. Platz für einen Tisch gibt es keinen, der Operngigant hält Tröschs Heim besetzt: «Ich freue mich jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, wenn ich das anschauen kann. Und ich berühre die Büsten».

Wird Wagner dem 74jährigen niemals langweilig? «Nein. Es gibt immer faszinierende Aspekte, man kann es immer von neuem beleuchten, es gibt immer wieder neue Erkenntnisse». Wagners Freund hätte er trotzdem nicht sein wollen, er sei ein fehlerhaftes Genie gewesen: «Er hatte einen schlechten Charakter und nutzte alle aus. Mit so einem Menschen kann man nicht befreundet sein».

Dennoch: Armin Trösch kann ohne Wagner nicht mehr sein. «Ich brauche Wagner. Seine Musik ist Überlebenshilfe». Dass Zürich seinen Helden endlich gebührend würdigt, dafür kämpft Armin Trösch seit Jahren. Er hat eigens eine dirigierende Wagnerfigur in Originalgrösse in Auftrag gegeben und hofft nun inständig: «dass ich für diese Statue einen guten Platz in Zürich finden werde». Wären alle so leidenschaftlich wie Armin Trösch – Bayreuth könnte als Wagnerstadt einpacken.

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