Wenn man sich für die Gambe und gegen das Cello entscheidet, so ist schon mal vieles klar, vieles möglich, anderes unmöglich. Die deutsche Instrumentalistin Hille Perl entschied sich schon früh für die Gambe. Ihr Ensemble The Sirius Viols ist heute ein profiliertes Ensemble für die Musik der Spätrenaissance und des Barock – die Epoche der Gambenmusik, die etwa von 1550 bis 1700 dauerte, je nach Land auch schon etwas früher und etwas später. Sogar Johann Sebastian Bach komponierte gelegentlich noch etwas für die Gambe.
Korrekt spielen reicht nicht
Hille Perl geht es darum, diese Musik stilistisch korrekt, aber nicht blutlos zu spielen – nur korrekt kommt heute nicht mehr in Frage. So liegt ihr denn auch die ausdrucksgesättigte Musik von John Dowland ganz besonders. Seine Lachrimae-Pavanen , Galliarden und Almanden stehen im Übergang der Renaissance zum Barock.
Einerseits haben sie noch die oft polyphonen Strukturen der Renaissance, andererseits auch schon die Ausdrucksmöglichkeit des Barock. Da muss das eine zum andern kommen, sonst stimmt alles nicht.
Alte Musik war einst die Feindin der Neuen Musik – und umgekehrt. So sahen es wenigstens die fundamentalistisch gesinnten Anhänger der beiden Lager: Für die einen war die Alte Musik eine reaktionäre Gegenposition zur revolutionären Neuen Musik, «ein Kniefall in jedem Takt» war die polemische Charakterisierung. Für die anderen war die Neue Musik das erbärmliche Zeugnis einer traditionslosen, dekadenten Entwicklung des modernen 20. Jahrhunderts.
So ging man getrennte Wege – meistens wenigstens. Dass ein überzeugter Vertreter der Moderne wie Clytus Gottwald mit seiner Schola cantorum Stuttgart auch Renaissance-Musik aufführte, dass das Hilliard Ensemble auch Werke von Heinz Holliger sang, nahm man geflissentlich nicht zur Kenntnis.
Brücke zwischen Alt und Neu
Tempi passati. Renommierte Vokalensembles wie die Schola Heidelberg singen ganz selbstverständlich sowohl Alte wie Neue Musik, Musik aus dem 16./17. Jahrhundert wie aus dem 20./21 Jahrhundert. Sie schlagen geradezu eine Brücke zwischen den beiden Lagern, die manche Komponisten von heute bereitwillig beschreiten.
Denn was die mikrotonale Intonation und die diversen Vokalgeräusche von heute sind, das waren die intrikaten Kanonkünste von damals. Dass für beide Epochen schlanke Stimmen mit kontrolliertem Vibratoeinsatz ideal (weil transparent) sind, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Und so singt die Schola Heidelberg Carlo Gesualdo und Luigi Nono, William Byrd und Helmut Lachenmann, Orlando Gibbons und Peter Eötvös. Und wenn es sein muss, auch gleich nebeneinander.
Auf alten Instrumenten kann man Neues spielen – und umgekehrt
Doch ein Lager fehlt. Denn ebenso spinnefeind wie Alte und Neue Musik standen sich einst die Musiker auf alten und die auf modernen Instrumenten gegenüber.
Die auf den modernen meinten, die mit den alten seien nicht fähig, bei den modernen mitzuhalten. Die auf den alten meinten, die auf den modernen seien nicht fähig, etwas anderes als ihren permanent «schönen» – und schön langweiligen – Ton zu produzieren. Denn in der Alten Musik ging es eben nicht um schöne Töne, sondern um sinnvolles Phrasieren und unterschiedliches Artikulieren.
Und so spielt heute ein Musiker wie David Bruchez-Lalli, der erste Posaunist im Tonhalle-Orchester Zürich, im seinem neu gegründeten Aura Consort mit einem Alte-Musik-Spezialisten wie Doron David Sherwin zusammen, ohne dass der eine dem andern etwas nachsehen muss. Schöne neue Töne auf alten Instrumenten.