Nur gelegentlich störten am Mittwoch ein paar Regentropfen den Opernabend auf der Bregenzer Seebühne. Fast 7000 Premierengäste verfolgten die Geschichte um die grausame chinesische Prinzessin «Turandot» – und bestaunten die Kulisse: Auf 72 Meter erstreckte sich eine Nachbildung der Chinesischen Mauer, ein kipp- und drehbarer Zylinder diente als Spiel- oder Projektionsfläche.
Gespielt haben die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Paolo Carignani, zusammen mit dem Prager Philharmonischen Chor, dem Bregenzer Festspielchor und dem Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz.
Die neue Intendantin Elisabeth Sobotka wollte mit der Oper sowohl Opernfans als auch weniger opernnahe Besucher begeistern. Ganz alle hat sie dabei aber nicht überzeugt. Wir haben dazu unsere Musikredaktorin Gabriela Kägi befragt.
Gabriela Kägi, bei einer Open-Air-Oper für ein so grosses Publikum braucht es den ganz grossen Pinsel. Gelingt das in Bregenz?
Damit kennt sich Marco Arturor Morelli, Regisseur und Bühnenbilder in einer Person, sehr gut aus. Er schafft in der Tat grosse Opernmomente. Die chinesische Mauer, einem chinesischen Drachen gleich, windet sich und bricht dann gleich zu Beginn mit Knall und Rauch auseinander.
Aber es gibt auch leise Theatermomente, wenn die Barke mit der verhüllten Prinzessin Turandot geräuschlos aus dem Dunkel dahergeglitten kommt. Bei ihrem ersten stummen Auftritt gibt sie das Zeichen zur Hinrichtung eines weiteren Prinzen.
Und dann fehlt es natürlich auch nicht an chinesischen Akrobaten, Kung-Fu-Tänzern, Feuer-Jongleuren, überhaupt Feuerwerk und Wasserfontänen. Im Wasser steht eine Terracotta-Armee, ein Heer an Statisten marschiert im Gleichschritt als graue chinesische Landarbeiter auf – es ist ein tolles Spektakel.
Und was geschieht bei all dem Spektakel musikalisch?
Ein differenziertes Dirigat von Paolo Carignani, eine ergreifende Liu, eine stahlharte Turandot – und ein richtig tenoraler Calaf.
Ergriffen sind Sie aber nicht.
Nein, ich war es nicht einmal bei der berühmten Arie «Nessun dorma». Und dies, obwohl Puccinis Musik doch vor allem auf Emotionalität abzielt und auch die Geschichte eigentlich genug Momente für Ergriffenheit böte.
Was könnte die Erklärung dafür sein?
Oper lebt davon, dass die unterschiedlichsten Dinge aus dem Augenblick heraus zusammengebracht werden: die Sänger auf der Bühne, das Orchester im Graben und Dirigenten dazwischen. Das ist Schauer, das ist Gänsehaut.
In Bregenz aber ist der Dimensionen wegen alles fragmentiert: Orchester, Chor und Dirigent befinden sich in einem Raum ausserhalb des Blickfeldes. Der Klang dringt mit grossem technischen Aufwand nach draussen, wo die Sänger auf der Bühne zu diesem perfekt gemischten Sound aus den Lautsprechern singen. Rechts und links von dieser riesigen Bühne gibt es zwei Screens mit dem Text, etwas weiter weg nochmals Bildschirme, auf denen man Dirigent und Orchester sieht.
Das heisst: Ich gucke hier und da und dort, werde über die verschiedensten Kanäle mit Einzelteilen beliefert. Aber zusammenfügen muss ich es selber. Das hat etwas Künstliches, Distanzierendes.
Man hat sich in Bregenz offenbar für eine Art Cinematisierung der Oper entschieden. Das machen sie perfekt. Sie nutzen Möglichkeiten, die sich dadurch bieten, aber das fordert eben doch auch ihren Preis: die Unmittelbarkeit und die Emotion.
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Wie wichtig diese Punkte sind, merkt man daran, wenn das Publikum bei ungeplanten Momenten sofort reagiert: Am Premieren-Abend gab es eine kleine Ente, die draussen auf dem See war – und nach Liebe rief.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 24.7.15, 16:20 Uhr