Mikhail Pletnev, das heisst: legendäre Mozartaufnahmen am Klavier. Eine Leichtigkeit im Spiel, ein Witz, ein verstecktes Grinsen. Und eine Finesse, die für viele Hörer unerreicht ist. Oder war. Denn Pletnev hat schon vor einiger Zeit einen zweiten Weg eingeschlagen. Er hat das Russische Nationalorchester gegründet, 1990 war das, und sich mehr und mehr aufs Dirigieren konzentriert, auch in der Schweiz. Von 2008 bis 2010 war Pletnev Erster Gastdirigent des Orchestra della Svizzera Italiana.
Anstrengung und unerschöpfliche Energie
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Und jetzt das: Der medienscheue Musiker, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, ist ans Klavier zurückgekehrt. Einige Überzeugungsarbeit habe es dafür gebraucht, murmelt man in Fachkreisen. Anstrengung, den Dirigenten wieder zum Klavierspielen zu bringen. War es das Zirzensische oder das Eigenbrötlerische, das ein Klavierabend bisweilen hat? Die Anstrengung, selbst Töne zu produzieren? Die Müdigkeit, die sich bei einer langen Karriere auf dem Klavierschemel breitmachen kann?
Faktoren allesamt, die bei der 26-jährigen Yuja Wang jedenfalls keine störende Rolle spielen. Im Gegenteil: Die Energie der chinesischen Pianistin scheint unerschöpflich. Ihr Debüt mit Prokofjews Klavierkonzert am Lucerne Festival 2009 zeigte einen Feuerdrachen am Steinway, und zwar einen extravagant gekleideten. Kommentare über die High Heels und knappen Kleider, die Wang im Konzert gerne trägt, nimmt sie gelassen: «Ich ziehe mich halt so an. Ich trage auch kurze Röcke, wenn ich nicht auf der Bühne bin.» Das kommt zurzeit eher selten vor: Wangs Terminplan ist voll.
Mozart im Doppelpack versus Jazzpionier
In Verbier ist sie gleich mehrfach auf dem Konzertpodium zu hören. Am 1. August zuerst als Duopartnerin des Geigers Leonidas Kavakos und abends im Kammermusikverbund mit Brahms' Klavierquintett und dem Sextett von Francis Poulenc. Und zwei Tage darauf als Co-Solistin (mit Menahem Pressler) in Mozarts Es-Dur-Konzert für zwei Klaviere und Orchester, einem Repertoire-Klassiker, der dennoch selten zu hören ist. An einem All-Star-Festival wie Verbier, wo sich die Solisten die Klinke in die Musikerhände geben, ist solcher Doppelmozart jedoch selbstverständlich.
Mit ungewohntem Repertoire tritt Mikhail Pletnev in Verbier auf. Er spielt eine Suite für Klavier und Orchester des russischen Komponisten, Pianisten und Jazz-Musikers Alexander Tsfasman (1906-1971), einem Pionier des Jazz in der Sowjetunion. Und somit einem Verwandten des nicht nur pianierenden und dirigierenden, sondern auch komponierenden Pletnevs, oder?
In der Schweiz (noch) völlig unbekannt
Möglich ist das wohl, hat Tsfasman doch selbst als Pianist und Geiger angefangen und später, wie Pletnev, sein eigenes Ensemble gegründet. Mit seiner Band AMA Jazz, der ersten grossen Jazzformation in Moskau, erspielte sich Tsfasman ab den 1920er-Jahren bedeutende Erfolge. Seine Musik ist hierzulande jedoch völlig unbekannt. Noch. Es brauchte wohl eine charismatische und etwas schräge Figur wie Pletnev, um diesen Musiker in der Schweiz vorzustellen. Am letzten Festivaltag, am 4. August, ist es soweit.